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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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Richtung unseres Tisches blickten. Es kostete mich noch einige Zeit, um zu verstehen, dass sie in Wirklichkeit Rory anstarrten – und sie damit nicht die Einzigen waren.
    Wir saßen an einem Tisch im hinteren Teil des Speisesaals, aber jeder, der an uns vorbeikam, schenkte Rory einen bösen Blick. Und ich hörte das Flüstern.
    »Schnittermädchen …«
    »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie weiter den Unterricht besucht …«
    »Warum geht sie nicht einfach von der Schule ab …?«
    Rory hörte das wütende Flüstern ebenfalls. Ihre Schultern verkrampften sich, sie packte ihre Gabel fest genug, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, und ihr Blick schoss hin und her, als erwartete sie jeden Moment einen Angriff.
    Wieder einmal packte mich ein seltsames Déjà-vu-Gefühl. Das Ganze erinnerte mich daran, wie mich die Schüler auf Mythos vor ein paar Wochen behandelt hatten, als ich fälschlicherweise beschuldigt worden war, ein Schnitter zu sein. Als Vivian mir all die üblen Dinge in die Schuhe hatte schieben wollen, die sie getan hatte – inklusive der Morde an einigen unserer Klassenkameraden.
    Schließlich schien das Starren und Murmeln nicht mehr auszureichen, und ein paar Kerle traten an unseren Tisch.
    »Sieh an, sieh an, wer isst denn da zur Abwechslung tatsächlich mal im Speisesaal?«, höhnte einer der Kerle.
    »Sieh an, sieh an«, stichelte Rory zurück. »Wer fällt denn da immer noch durch Englisch – und jeden anderen Kurs? Das wärst wohl du, Duke.«
    Dukes Gesicht lief vor Wut tiefrot an. Er war ein großer Junge mit breitem Körperbau, der in meiner alten, öffentlichen Highschool wahrscheinlich Football gespielt hätte. Er trug keine Waffe, aber anhand der Art, wie er ständig die Knöchel knacken ließ, als wollte er Rory seine Faust ins Gesicht rammen, schloss ich, dass er ein Wikinger war. Wikinger waren stark und standen in dem Ruf, ihre Probleme mit den Fäusten zu regeln und nicht mit Waffen.
    »Tja«, knurrte er. »Ich mag ja nicht so klug sein wie du, aber zumindest sind meine Eltern keine Schnitter. Zumindest sind sie nicht in der Bibliothek in Blutrausch verfallen. Das kannst du von deinen ja wohl kaum behaupten, oder?«
    Ich erstarrte, genauso wie alle meine Freunde. Wir wechselten Blicke, dann sahen wir zu Rory. Ihre Eltern waren Schnitter gewesen? Und hatten Leute getötet? Auf dem Campus?
    Nun, das erklärte zumindest, warum die anderen Schüler Rory behandelten, als wäre sie nur Dreck unter ihren Stiefeln.
    Rorys Gesicht war vollkommen ausdruckslos und verschlossen, als sie den Stuhl nach hinten schob, um sich Duke zu stellen. »Ich habe dir schon mehrmals gesagt, du sollst nicht über meine Eltern reden.«
    Duke ballte die Hände zu Fäusten. »Ich rede über sie, wann und wie es mir passt. Und für dich gilt dasselbe, Schnittermiststück.«
    Schnittermiststück.
    Dasselbe Wort war mehr als einmal an meine Wohnheimtür gesprayt worden. Sofort sah ich rot, genau wie damals. Denn ich hatte etwas erfahren, als ich Rachel berührt hatte – dass sie und Rory genauso wenig Schnitter waren wie ich und meine Freunde.
    »Hey.« Ich schob meinen Stuhl zurück und stand ebenfalls auf. »Lass sie in Ruhe. Sie hat dir doch nichts getan.«
    Duke sah mich an, dann verzog er höhnisch das Gesicht. »Wer ist deine Freundin, Rory? Ich habe sie und diese anderen Opfer noch nie hier gesehen.«
    »Das ist Gwen«, erklärte Rory mit lauter Stimme, sodass alle Schüler an den umstehenden Tischen sie hörten. »Meine Cousine. Ihr Dad war ein Forseti. Um genau zu sein, war er der Bruder meines Vaters.«
    Hass blitzte in Dukes dunklen Augen auf. »Oh«, spottete er. »Noch eine Forseti. Also war dein Dad auch ein Schnitter, hm?«

Für einen Moment konnte ich nicht atmen. Ich sah verschwommen, und kleine weiße Punkte flackerten vor meinen Augen. Die Welt schien für einen Augenblick zum Stillstand zu kommen, bevor sie sich abrupt wieder in Bewegung setzte.
    Mein Dad war … War er … Mein Dad war ein Schnitter gewesen?
    Das war unmöglich. Das konnte einfach nicht sein. Es war … das durfte einfach nicht wahr sein.
    Rory musterte mich mit einer Mischung aus Wut und Mitleid, und da wusste ich, dass es stimmte. Jedes schreckliche Wort, das Duke ausgesprochen hatte, war wahr. Ihre Eltern waren Schnitter gewesen – und mein Dad ebenfalls.
    Wie lang hatte er Loki gedient? Hatte er Leute umgebracht? Hatte meine Mom davon gewusst? Hatte Grandma Frost es gewusst? All diese Fragen stiegen in mir

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