Frostnacht
regelmäßigen Abständen den Kopf nach hinten. Er wirkte ruhig und sah abwechselnd Elínborg und Sigurður Óli mit großen Augen an.
Seine Eltern waren sehr entgegenkommend. Es hatte ihnen nichts ausgemacht, dass Elínborg und Sigurður Óli sie verhältnismäßig spät am Abend gestört hatten. Sie sprachen darüber, dass ein Unwetter im Anzug sei. Die Mutter kochte einen Kaffee für sie.
»Ich denke, ihr habt sehr viel damit zu tun, euch mit den Kindern in der Schule zu unterhalten«, sagte die Frau. »Wegen diesem schrecklichen Vorfall. Habt ihr schon etwas herausgefunden?«
Der Mann blickte Elínborg und Sigurður Óli stumm an.
»Wir kommen vorwärts«, sagte Elínborg und beobachtete Hallur.
»Wir hatten euch eigentlich schon früher erwartet«, sagte die Frau. «Redet ihr nicht mit allen Kindern in der Schule? Weißt du etwas über dieses Messer, Hallur?«, fragte sie ihren Sohn.
»Nein«, gab Hallur zum zweiten Mal zur Antwort.
»Ich hab ihn nie mit einem Messer gesehen«, sagte sie. »Ich verstehe gar nicht, wieso jemand behauptet hat, dass es Hallur gehört. Ich … Es ist wirklich ein bisschen schockierend, wenn man darüber nachdenkt. Ich meine, dass jemand einfach irgendwas behaupten kann. Findet ihr nicht?«
Sie sah Elínborg an, als müssten sie sich als Frauen gegenseitig unterstützen.
»Es ist aber nicht so schlimm, wie wenn ein Kind erstochen wird«, entgegnete Elínborg.
»Wir haben keinen Grund zu glauben, dass die Jungen, die uns das gesagt haben, lügen«, sagte Sigurður Óli.
»Kennst du diese Jungen, Doddi und Anton?«, fragte die Frau ihren Mann. »Ich habe diese Namen noch nie gehört. Wir kennen eigentlich alle Freunde von Hallur.«
»Es sind nicht seine Freunde«, sagte Sigurður Óli. »Einer von ihnen, Anton, wäre aber gerne mit ihm befreundet. Deswegen hat er Hallur das Messer geschenkt. Es hat ziemlich lange gedauert, bis er uns davon erzählt hat. Stimmt das nicht?«, fragte er Hallur.
»Ich kenne Anton eigentlich gar nicht«, sagte Hallur. »Ich kenne kaum jemanden in der Schule.«
»Ihr seid im letzten Sommer umgezogen, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Hallurs Mutter.
»Und wie ist es dir in der neuen Schule ergangen?«, fragte Elínborg.
»Na ja, ganz okay«, sagte Hallur.
»Aber du hast noch keine Freunde in der Schule, oder?«
Die Frage hing in der Luft.
»Er hat sich ganz gut eingelebt«, sagte die Mutter schließlich und sah ihren Mann an, der immer noch keinen Ton von sich gegeben hatte.
»Hast du oft die Schule wechseln müssen?«, fragte Sigurður Óli.
Hallur sah seine Mutter an.
»Dreimal«, sagte er.
»Aber jetzt bleiben wir hier«, erklärte die Frau und blickte wieder zu ihrem Mann hinüber.
»Anton hat gesagt, du seist mit einem Jungen zusammen gewesen, als er dich traf und dir das Messer gegeben hat. Anton kannte ihn nicht und sagte, er sei bestimmt nicht an der Schule. Was war das für ein Junge?«
»Er hat mir kein Messer gegeben«, sagte Hallur, »das ist gelogen.«
»Bist du sicher?«, fragte Elínborg.
Anton hatte bei der Vernehmung zugegeben, dass er Hallur das Messer überlassen hatte. Bei Hallur war ein Junge gewesen, den er nie zuvor gesehen hatte. Hallur war neu in der Schule und ziemlich zurückhaltend. Anton erklärte, einmal zu ihm in das große, neue Haus gekommen zu sein. Hallur hatte ganz freimütig über seine Eltern gesprochen. Seine Mutter sei total anstrengend und mische sich dauernd in seine Sachen ein, so hatte sich Hallur laut Antons Aussagen ausgedrückt. Seine Eltern wären auch immer in finanziellen Schwierigkeiten, einmal war ihr Haus sogar zwangsversteigert worden. Das schien sie jedoch nicht davon abzuhalten, in ziemlich großem Luxus zu leben. Hallur besaß die umfangreichste Sammlung von Computerspielen, die Anton je gesehen hatte.
Er wusste nicht, weshalb Hallur das Messer unbedingt haben wollte, vielleicht, weil es geklaut war. Hallur hatte ihn mit dem Ding gesehen, und als Anton ihm sagte, dass Doddi es aus dem Werkraum geklaut hätte, war Hallur plötzlich sehr interessiert gewesen. Sie trafen sich zu Hause bei Anton, und zusammen mit Hallur war noch ein anderer Junge gekommen, dessen Namen Anton nicht kannte.
»Du bist zu Hause bei Anton gewesen«, sagte Sigurður Óli, »und du hast ihm ein Computerspiel gegeben und er dir das Messer.«
»Das ist gelogen«, sagte Hallur.
»Da war noch ein anderer Junge dabei, als du Anton besucht hast«, warf Elínborg ein. »Wer war das?«
»Ein Cousin von
Weitere Kostenlose Bücher