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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Vierteljahrhundert unterrichtet und wäre deswegen überglücklich, wenn jemand mich rausschmeißen würde. Ich habe nicht den Mumm dazu, selber die Biege zu machen.«
    Eine weitere Zigarette erschien in Egills Pranke. Erlendur schaute sich wieder verstohlen die Beule an, und es kam ihm so vor, als hätte sie sich gerötet. Egill hatte vermutlich beim Gedanken an diesen Elternabend der Zorn gepackt. Oder möglicherweise war es das Vierteljahrhundert, das er mit Werkunterricht an dieser Schule verschwendet zu haben glaubte.
    »Ich habe nichts gegen Zuwanderer«, sagte Egill und zündete sich die Zigarette an. »Aber ich bin dagegen, alles auszumerzen, was isländisch und patriotisch ist. Nur um dem gerecht zu werden, was angeblich im Namen einer multikulturellen Gesellschaft angesagt ist. Was heißt das überhaupt? Multikulturelle Gesellschaft? Ich bin auch gegen die Rechten. Und ich bin dagegen, dass ich hier in meiner Klapperkiste rauchen muss. Aber was kann ich schon ausrichten?«
    »Es ging aber wohl noch um mehr als nur um Jónas Hallgrímsson«, sagte Erlendur. »Es ging auch um irgendwelche Bemerkungen über asiatische Frauen, über die sich die Leute aufgeregt haben. Soweit ich weiß, hast du deinem Unmut darüber Ausdruck verliehen, dass sie ins Land kommen.«
    »Meinem Unmut Ausdruck verliehen!«, wiederholte Egill. »Ich habe nichts gegen irgendwelche Zuwanderer! Diese Typen auf der Versammlung haben mich angemacht, und ich habe ihnen meine Meinung gesagt. Ansichten dürfen wir ja schließlich noch haben. Ich habe gesagt, dass ich es verheerend finde, unter welchen Umständen viele von diesen Frauen ins Land kommen. Angeblich fliehen sie in erster Linie vor der entwürdigenden Armut und gehen davon aus, dass sie hier ein besseres Leben finden. Etwas in der Art habe ich von mir gegeben, und ich habe nichts Schlechtes über diese Frauen gesagt. Ich habe Respekt vor dem Selbsterhaltungsstreben in jeglicher Form, und ich glaube, dass diese Frauen sich hier sehr bewährt haben.«
    Egill hustete und beugte sich unter Mühen zum Aschenbecher vor, um die Zigarette auszudrücken.
    »Ich glaube, das gilt für sämtliche Kreaturen aus aller Herren Länder, die nach Island kommen und sich hier niederlassen«, fuhr er fort. »Aber das bedeutet auf keinen Fall, dass wir unsere isländische Kultur nicht hochhalten und pflegen dürfen, und zwar vor allem in den Schulen. Ich bin ganz im Gegenteil der Ansicht, dass wir, je mehr Ausländer ins Land kommen, umso mehr Gewicht darauf legen müssen, ihnen unsere Geschichte und unsere Kultur zu vermitteln, und dass wir dafür sorgen müssen, dass diejenigen, die tatsächlich hier in der Kälte leben wollen, sie nicht einfach ignorieren. Den Religionsunterricht sollten wir fördern, anstatt ihn wie etwas, für das man sich schämt, unter den Tisch fallen zu lassen. Das war es, was ich zu denen gesagt habe, die die multikulturelle Gesellschaft bejubelten. Ich bin der Ansicht, dass diejenigen, die hier leben wollen, es gerne dürfen und dass wir ihnen in jeder Form helfen sollten, aber das darf nicht bedeuten, dass wir unsere Sprache und Tradition vernachlässigen.«
    »Solltest du nicht …«
    »Es ist doch wohl das Mindeste, dass wir unsere eigenen Traditionen pflegen dürfen, auch wenn hier Leute mit anderem kulturellen Hintergrund hinziehen.«
    »Solltest du nicht schon längst wieder unterrichten?«, fragte Erlendur, als er endlich zu Wort kam. Egill schien nicht bemerkt zu haben, dass die große Pause schon längst zu Ende war.
    »Ich habe eine Freistunde«, entgegnete Egill brummend. »Ich bin ganz und gar damit einverstanden, dass unsere Gesellschaft im Begriff ist, sich zu ändern, und deswegen muss man gleich von Anfang an positiv darauf reagieren. Es ist wichtig, gleich einzugreifen und Vorurteile auszuräumen. Alle sollen die gleichen Chancen haben, und wenn Kinder ausländischer Abstammung sich schwerer mit den schulischen Leistungen und der Ausbildung tun, dann muss man Maßnahmen ergreifen. Und damit muss man gleich im Kindergarten anfangen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass ihr eure Zeit nicht mit mir verschwenden solltet, auch wenn ich auf Elternversammlungen die Klappe aufreiße. Es gibt doch wahrlich naheliegendere Dinge zu tun, wenn Kinder erstochen werden.«
    »Man sammelt Informationen, darin besteht die Arbeit. Hast du speziell mit Elías oder Niran zu tun gehabt?«
    »Nein, nicht mehr als andere. Sie sind auch noch nicht lange an der Schule. Soweit ich

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