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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Er war überhaupt nicht lange weg gewesen, wie er diesem Erlendur am Telefon erklärte, der ihn derart mit Verwünschungen überschüttete, dass er beinahe losgeflennt hätte. Vielleicht hätte er ja einen Kollegen anfordern sollen. Vielleicht hätte er nie diesen blödsinnigen Botengang ausführen dürfen, der ihn daran erinnerte, wie er als kleiner Junge dauernd von seiner Mutter ins Geschäft geschickt worden war. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass solche Aufträge so selbstverständlich für ihn waren. Im Laden vergaß er sich für einen Moment und blätterte in einem Klatschblatt, das über die Scheidung eines aus den Medien bekannten Ehepaars berichtete. Das traute er sich aber nicht, diesem Erlendur gegenüber zu erwähnen. Der Typ war so aufgebracht, dass er Angst hatte, er würde auf ihn losgehen.
    Als er aus dem Laden zurückkam, rannte er die Treppe hinauf, betätigte die Klingel und klopfte an die Tür, erhielt aber keine Antwort. Schließlich griff er nach der Klinke. Die Tür war unverschlossen, und er rief »Hallo« in den Flur. Niemand antwortete ihm. Er trat ein und rief ein paar weitere Male, erhielt aber keine Antwort. Die Wohnung war leer.
    Er stand wie ein begossener Pudel mit der Einkaufstüte in der Hand da und traute sich kaum, im Dezernat anzurufen und mitzuteilen, dass Sunee und ihr Sohn verschwunden waren.

Dreizehn
    Erlendur machte den Polizisten für Sunees und Nirans Verschwinden nicht verantwortlich, obwohl der Mann sich eines unglaublichen und unbegreiflichen Dienstvergehens schuldig gemacht hatte. Er war davon überzeugt, dass die Dolmetscherin der Mutter und deren Sohn behilflich gewesen war, unterzutauchen. Sie war es gewesen, die die beiden als Letzte gesehen und den Polizisten überredet hatte, seinen Posten kurz zu verlassen, um dann wahrscheinlich die beiden an einen Ort zu bringen, den sie sich weigerte preiszugeben. Nachdem Erlendur dem Polizisten gehörig den Marsch geblasen hatte, gab er Anweisung, die Dolmetscherin zu ihm zu bringen. Unterdessen suchte die Polizei nach Hinweisen, wohin Sunee mit ihrem Sohn gegangen sein könnte. Ihr Telefon hatte keinen Nummern-oder Anrufspeicher, daher beantragte Erlendur beim Gericht, eine Liste derjenigen Telefonnummern ausgehändigt zu bekommen, von denen in den letzten Wochen bei Sunee angerufen worden war, und ebenso eine Liste der Gespräche, die in dieser Zeit von der Wohnung aus getätigt worden waren.
    Elínborg berichtete Erlendur telefonisch darüber, was bei dem Gespräch mit Elías’ früherer Lehrerin herausgekommen war.
    »Hast du nicht den Eindruck, dass Sunnee versucht, Niran zu schützen, indem sie wegläuft?«, fragte sie Erlendur, als er ihr vom Verschwinden der beiden erzählt hatte.
    »Vermutlich wird etwas in der Richtung dahinterstecken«, antwortete Erlendur. »Die Frage ist nur, vor was sie ihn zu schützen glaubt.«
    »Vielleicht hat er ihr etwas gesagt.«
    Erlendur hatte das Gespräch mit Elínborg gerade beendet, als sich das Handy aufs Neue meldete. Der Chef des Rauschgiftdezernats teilte ihm mit, dass sie ein Mädchen in der Schule ausfindig gemacht hatten, das beim Versuch, Drogen auf dem Schulgelände zu verkaufen, erwischt worden war. Sie war vorher nicht mit der Polizei in Berührung gekommen, aber ihre ältere Schwester war der Abteilung als Junkie bestens bekannt und schon oft wegen Drogenverstößen festgenommen worden. Der ältere Bruder der beiden Schwestern, ein grobschlächtiger Typ, saß wegen Totschlags in Litla-Hraun ein; er hatte einen Passanten in der Innenstadt so brutal angegriffen, dass der Mann später seinen Verletzungen erlag.
    »Eine Topmannschaft also«, sagte Erlendur.
    »Erste Sahne«, sagte der Chef des Rauschgiftdezernats. »Willst du dich mit dem Mädchen befassen?«
    »Ja, lass sie abholen«, sagte Erlendur.
    In diesem Augenblick erschien Guðný in der Wohnung. Erlendur unterbrach das Gespräch und steckte das Telefon in die Manteltasche.
    »Wo sind die beiden?«, fragte er barsch und baute sich vor ihr auf. »Warum haben sie sich aus dem Staub gemacht? Und wohin hast du sie gebracht?«
    »Bringst du allen Ernstes mich damit in Verbindung?«, war ihre Gegenfrage.
    »Du hast den Polizeiposten hinters Licht geführt«, sagte Erlendur, »danach bist du dann zurückgekommen, um sie abzuholen. Wir müssen wissen, was mit ihnen ist. Ich könnte dich in Gewahrsam nehmen lassen, weil du die Polizei bei der Arbeit behindert hast. Davor würde ich im Zweifelsfall nicht

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