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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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das Gebiet verließ, das zum Eskifjörður gehörte. Nördlich davon liegt das Þverá-Tal zwischen den Bergen Andri und Harðskafi, und noch weiter nördlich sind Hólafjall und Selfjall.
    Im Inneren des Eskifjörður lag früher der Hof Bakkaselshjáleiga. Heute ist der Hof verlassen, aber um die Mitte des Jahrhunderts lebte dort der Bauer Sveinn Erlendsson mit seiner Frau Áslaug Bergsdóttir und zwei Söhnen, acht und zehn Jahre alt. Sveinn besaß ein paar Schafe …
    Erlendur hörte auf zu lesen.
    »Marian!«, flüsterte er.
    Tiefes Schweigen herrschte im Krankenzimmer. Während das Winterdunkel sich über die Stadt senkte, verwandelte sie sich in ein wogendes Lichtermeer. Erlendur sah sein Spiegelbild im Fenster, das auf den Hof des Krankenhauses hinausging. Das große Fenster war wie ein verschwommenes Gemälde, ein Stillleben mit ihnen beiden in der Todesstunde. Er starrte in das Fenster, bis sein eigenes Gesicht Konturen annahm, und das Bild wurde zum Refrain eines Gedichts, an das er sich nun erinnerte:
    … bin ich es denn, der noch lebt, oder bin ich der, welcher starb?
    Erlendur kam wieder zu sich, als der Spiegel zu Boden fiel und zerbrach. Er griff nach der kraftlosen Hand und fühlte den Puls. Marian Briem war aus der Welt gegangen.

Fünfzehn
    Erlendur parkte den Ford Falcon auf dem Parkplatz vor seinem Wohnblock. Er ließ den Motor noch eine Weile laufen, bevor er ihn abstellte. Trotz seines Alters lief der Wagen einwandfrei, und im Leerlauf schnurrte der Motor angenehm vor sich hin. Erlendur war so begeistert von seinem Auto, dass er manchmal, wenn es seine Zeit erlaubte, aus der Stadt herausfuhr. Das hatte er nie zuvor getan. Einmal hatte er auch Marian Briem zu einer solchen Spritztour eingeladen, und sie waren zum Kleifarvatn gefahren. Auf dem Weg zum See berichtete er Marian, wie der damals aktuelle Fall gelöst worden war. Das alte Skelett, das auf dem Grund des Sees gefunden worden war, stand in Verbindung zu einer Gruppe isländischer Studenten in der DDr. Marian Briem interessierte sich brennend für diesen Fall. Erlendur hatte das Gefühl, sich um seinen ehemaligen Boss kümmern zu müssen. Er wusste, dass es keine anderen Angehörigen gab, wenn die Todesstunde nahte.
    Bei dem Gedanken verzog er das Gesicht und strich über das schmale, elfenbeinweiße Lenkrad. Er würde Marian Briem nie wieder treffen, jetzt gab es nur noch die Erinnerungen, und die waren sehr gemischt. Er dachte an die Zeit, die ihm noch auf der Erde blieb, es dauerte nicht mehr lange, bis neue Generationen nachrückten und es mit der Zukunft aufnahmen. Seine Zeit verstrich, ohne dass er es merkte, denn er hatte keinen anderen Lebensinhalt als seine Arbeit. Bevor er sichs versah, würde er wie Marian Briem in einem Krankenzimmer liegen und dem Tod ins Auge blicken.
    Erlendur war bestätigt worden, dass es niemanden gab, der sich um die weiteren Schritte kümmern würde. Er hatte mit einer Krankenschwester darüber gesprochen, weil Marian Briem ihn gebeten hatte, die Bestattung auszurichten.
    Auf dem Nachhauseweg vom Krankenhaus hatte Erlendur noch bei Sunee hereingeschaut. Ihr Bruder war bei ihr, aber auch Guðný, die Dolmetscherin, die sich allerdings gerade verabschieden wollte, als Erlendur eintraf. Sie bot ihm an zu bleiben, was er dankend akzeptierte.
    »Kommst du aus einem bestimmten Anlass?«, fragte Guðný. »Gibt es etwas Neues?«
    »Nein, noch nicht«, sagte Erlendur, was Guðný an Sunee weitergab.
    »Will sie mir jetzt vielleicht sagen, wo Niran steckt?«, fragte er.
    Guðný redete mit Sunee, die den Kopf schüttelte und Erlendur entschlossen anschaute.
    »Sie ist der Meinung, dass er da, wo er sich befindet, besser aufgehoben ist. Und sie möchte wissen, wann Elías’ Leiche freigegeben wird.«
    »Sehr bald«, antwortete Erlendur. »Die Sache wird vorrangig behandelt, und seine sterblichen Überreste werden nur so lange zurückgehalten, wie es für die Autopsie notwendig ist.«
    Erlendur setzte sich auf den Sessel, der unter dem gelben Drachen stand. In der Wohnung war es nun viel ruhiger als zuvor. Die Geschwister saßen Seite an Seite auf dem Sofa und rauchten. Erlendur war es nicht bewusst gewesen, dass Sunee rauchte. Sie sah schlecht aus, die dunklen Ringe unter den Augen sprachen eine deutliche Sprache und zeugten von ihrer Sorge und Trauer.
    »Wie gefällt es dir hier in dieser neuen Wohngegend?«, fragte Erlendur.
    »Hier lässt sich’s gut leben. Das Viertel ist sehr ruhig«, übersetzte

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