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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Arbeit erlebt und wollte ihm davon erzählen, aber er unterbrach sie abrupt. Er erzählte äußerst selten von dem menschlichen Elend, mit dem er im Rahmen seiner Arbeit bei der Kriminalpolizei konfrontiert wurde. Das war etwas, was seiner Meinung nach aus ihrer Beziehung herausgehalten werden sollte. Er schien sie nicht mit den abstoßenden Erlebnissen, die seine Arbeit beinhaltete, belasten zu wollen. Das war nicht unbedingt eine Flucht vor dem Scheußlichen und Bösen in der Welt, sondern bedeutete eher eine Verschnaufpause für ihn.
    »Es ist nur … Wenn man ständig damit zu tun hat, möchte man lieber mal etwas anderes hören«, sagte Erlendur. »Man möchte sich gern vergewissern, dass das Leben noch etwas anderes ist als nur ein einziger, ewiger Sumpf.«
    »Habt ihr in dem Fall mit dem Jungen schon etwas herausgefunden?«
    »Nein, wir sind kein Stück weitergekommen.«
    »Wir haben hier den Schweigemarsch im Fernsehen gesehen. Den Bruder habt ihr noch nicht gefunden?«
    »Die Mutter hat Angst«, sagte Erlendur. »Sie wird sich aber wieder beruhigen, und dann wird sie reden.«
    Sie schwiegen beide. Erlendur fand es gut, mit Valgerður zu sprechen, es reichte ihm schon, ihre schöne, leise und beruhigende Stimme am Telefon zu hören, dann fühlte er sich besser. Er wusste nicht ganz genau, weshalb, aber manchmal sehnte er sich einfach danach, ihre Stimme zu hören. Genau wie jetzt.
    »Marian Briem ist tot«, sagte er schließlich. »Ich hab dir gesagt, wer das ist.«
    »Ja, ich erinnere mich an den Namen. Seltsamer Name.«
    »Marian ist gestern nach langer Krankheit gestorben. Wahrscheinlich war es in gewissem Sinne eine Erlösung. Ein ziemlich einsamer Tod, denn Marian hatte keine Angehörigen und ist schon vor etlichen Jahren pensioniert worden. Ich war auch sehr sparsam mit meinen Besuchen, das ist mir aber erst klar geworden, als es zu spät war. Nicht viele haben Marian Briem besucht, ich gehörte dazu, vielleicht war ich sogar der Einzige. Es kam mir zumindest manchmal so vor, als sei ich der Einzige.«
    Erlendur verstummte, und Valgerður wartete darauf, dass er weitersprach. Sie wollte ihn nicht unterbrechen, denn sie spürte, dass er das Bedürfnis hatte, mit ihr zu reden. Auf diese Weise verstrich geraume Zeit, bis es fast schon den Anschein hatte, als sei Erlendur gar nicht mehr in der Leitung.
    »Erlendur?«, fragte Valgerður, als ihr das Schweigen am anderen Ende doch zu lange dauerte.
    »Ja, entschuldige, mir geht so vieles durch den Kopf. Marian Briem hat mich darum gebeten, alles Erforderliche in die Wege zu leiten, und das habe ich getan. So endet also das Leben, das lange Leben, irgendwo auf einem Krankenlager, ganz allein und verlassen.«
    »Wovon redest du, Erlendur?«
    »Ich weiß nicht. Über den Tod.«
    Erlendur verstummte wieder für eine Weile.
    »Eva Lind hat mich besucht«, sagte er schließlich.
    »Warst du nicht froh?«
    »Doch, aber ich bin etwas verunsichert. Sie sieht jetzt besser aus. Ich hab sie so lange nicht gesehen, und dann taucht sie plötzlich wieder auf, das sieht ihr ähnlich. Es ist … Sie ist zur Frau geworden. Das habe ich auf einmal gesehen, denn sie war irgendwie so verändert. Sie wirkte reifer, ruhiger. Vielleicht ist das Ganze jetzt tatsächlich ausgestanden. Vielleicht hat sie endlich genug davon.«
    »Älter werden wir alle.«
    »Nur zu wahr.«
    »Was wollte sie?«
    »Ich glaube, sie wollte mir von einem Traum erzählen, den sie geträumt hat.«
    »Was heißt hier, du glaubst es?«
    »Sie ging, bevor sie ihn mir erzählt hat. Ich glaube, ich habe sie gebeten zu gehen. Ich weiß ganz genau, was sie damit will. Sie hat mich danach gefragt, was damals geschehen ist, als Bergur zu Tode kam. Sie ist überzeugt, etwas geträumt zu haben, das damit in Verbindung steht, und ich wollte nicht wissen, was es war.«
    »Es war aber doch nur ein Traum«, sagte Valgerður.
    »Ich habe ihr nicht alles gesagt. Ich habe ihr nicht gesagt, weshalb er nie gefunden wurde. Da gab es die unterschiedlichsten Spekulationen. Es war, als hätte sie davon gehört.«
    »Spekulationen?«
    »Er hätte gefunden werden müssen«, sagte Erlendur.
    »Aber …?«
    »Er wurde nie gefunden.«
    »Und was waren das für Spekulationen?«
    »Es hatte mit den Bergen zu tun. Und dann war da noch der Fluss.«
    »Aber du willst nicht darüber reden?«
    »Das geht niemanden etwas an«, sagte Erlendur. »Das ist eine alte Geschichte, die niemanden etwas angeht.«
    »Und du willst sie für dich

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