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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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aufpassen.«
    »In Ordnung.«
    »Elías guter Junge. Nichts tun.«
    »Ich glaube nicht, dass er deshalb überfallen wurde, weil er etwas getan hat. Es ist denkbar, dass er angegriffen wurde wegen dem, was er war. Verstehst du mich?«
    Sunee nickte.
    »Hast du irgendeine Idee, wer ihn angegriffen haben könnte?«
    »Nein«, sagte Sunee.
    »Ganz bestimmt nicht?«
    »Nein.«
    »Die Kinder in der Schule?«
    »Nein.«
    »Irgendwelche Lehrer?«
    »Nein. Keine. Alle gut zu Elías.«
    »Was ist mit Niran? Er scheint sich nicht wohlzufühlen.«
    »Niran guter Junge. Nur Wut. Nicht in Island bleiben wollen.«
    »Wo ist er?«
    Sunee gab ihm keine Antwort darauf.
    »In Ordnung«, sagte Erlendur, »du musst wissen, was du tust. Denk darüber nach. Vielleicht sagst du es mir morgen. Wir müssen mit ihm reden, es ist sehr wichtig.«
    Sunee schaute ihn schweigend an.
    »Ich weiß, dass es furchtbar schwierig für dich ist, und du tust natürlich das, was du für richtig hältst. Du musst aber auch verstehen, dass es sich um eine sehr komplizierte Ermittlung handelt.«
    Sunee schwieg weiterhin.
    »Hat Niran etwas über Kjartan, den Isländischlehrer, gesagt?«
    »Nein.«
    »Nichts über eine Auseinandersetzung zwischen ihnen?«
    »Nein.«
    »Was hat er dir denn gesagt?«
    »Nicht viel. Er Angst haben. Ich auch.«
    Sunee blickte in Richtung Flur, wo ihr Bruder aufgetaucht war, und streckte die Hand nach ihm aus.
    »Hättest du etwas dagegen, wenn ich mir noch einmal das Zimmer der Jungen ansehe?«, fragte Erlendur und stand auf.
    »Okay«, sagte Sunee und schaute ihn an. »Ich helfen will«, sagte sie, »aber ich auch aufpassen Niran.«
    Erlendur lächelte und ging den kleinen Flur entlang zum Zimmer der Jungen. Er knipste die kleine Schreibtischlampe an, die eine schwache Helligkeit im Zimmer verbreitete. Er wusste nicht genau, wonach er suchte. Sie hatten das Zimmer bereits vorher untersucht, ohne einen Hinweis darauf zu finden, wo Niran sich aufhalten konnte. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder und erinnerte sich daran, dass damals in den Ostfjorden sein Bruder und er auch gemeinsam so ein Zimmer gehabt hatten.
    Erlendur blickte sich um, während er über die Grausamkeit nachdachte, die Elías das Leben gekostet hatte. Er versuchte, sie in der Welt der Verbrechen einzuordnen, die er so gut kannte, aber er stand vor einem Rätsel. Elías war schwer verwundet zusammengebrochen, ohne dass jemand Mitleid mit ihm gezeigt hatte. Niemand war ihm zu Hilfe gekommen, als er sich mit letzter Kraft nach Hause zu schleppen versuchte. Niemand war da, um ihn zu wärmen, als er auf dem vereisten Boden hinter seinem Haus festfror.
    Erlendur blickte sich um. In Elías’ Ecke standen überall Dinosaurier aller Arten und Größen herum. Zwei Plakate mit Dinosauriern waren außerdem an der Wand über dem Etagenbett befestigt worden. Ein furchterregender Tyrannosaurus Rex fletschte seine Zähne über einem Opfer.
    In Elías’ Bett sah er ein Spiralheft und streckte die Hand danach aus. Auf der Vorderseite stand »Geschichtenbuch« und Elías’ Name; es enthielt kurze Aufsätze mit Zeichnungen. Er hatte über das Weltall geschrieben und eine bunte Zeichnung vom Saturn gemacht. In einer anderen Geschichte erzählte er darüber, wie er mit seiner Mutter in die Kringla gefahren war. Und ein Aufsatz hieß »Mein Lieblingsfilm«. Es ging um einen Abenteuerfilm, den Erlendur nicht kannte. Er las die Aufsätze, die mit einer schönen Kinderhandschrift geschrieben worden waren, und blätterte bis zu der Stelle, wo Elías aufgehört hatte. Dort stand nur der Titel des neuesten Aufsatzes, weiter war er nicht gekommen.
    Erlendur schloss das Heft, legte es wieder auf Elías’ Bett und stand auf. Was hatte er werden wollen? Vielleicht Arzt. Vielleicht Busfahrer. Vielleicht Polizist. Es gab unendlich viele Möglichkeiten, die Welt stand ihm offen und war spannend. Das Leben hatte kaum begonnen.
    Er ging zurück zu Sunee ins Wohnzimmer. Ihr Bruder war in der Küche.
    »Weißt du, was er werden wollte?«, fragte Erlendur.
    »Ja«, sagte Sunee. »Hat oft sagen. Lange Wort, aber ich lernen.«
    »Und was war das?«
    »Dinosaurierforscher.«
    Erlendur lächelte. »Früher waren es Polizisten. Oder Busfahrer.«
    Auf dem Weg nach unten fragte er den Polizisten im Treppenhaus noch einmal, ob er etwas Verdächtiges im oder beim Treppenaufgang bemerkt hatte, aber das war nicht der Fall. Er fragte nach Sunees Etagennachbar Gestur, aber der Polizist hatte ihn nicht

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