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Frozen Time (German Edition)

Frozen Time (German Edition)

Titel: Frozen Time (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Lankers
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Erwachen soll ich diesen Raum verlassen. Erst jetzt wird mir bewusst, wie klein meine Welt in den letzten Tagen eigentlich war. Und dass ich mich darin nicht eingesperrt, sondern auf sonderbare Weise beschützt gefühlt habe.
    »Tessa, alles in Ordnung?« Obwohl Milo versucht, seine Ungeduld zu beherrschen, kann ich sie hören.
    »Ich bin nur noch etwas wackelig auf den Beinen«, erkläre ich mein Zögern. Ich will auf keinen Fall, dass Milo bemerkt, wie verunsichert ich mich plötzlich fühle.
    Er kommt zu mir zurück und bietet mir seinen Arm an, damit ich mich darauf stützen kann. Ich zögere, weil ich weiß, dassich laut der sechsten Grundregel einen fremden Menschen nicht berühren sollte. Anfangs wurde sie eingeführt, um Infektionsübertragungen zu vermeiden, doch mittlerweile ist es längst eine Frage der Höflichkeit. Es wird nicht leichter dadurch, dass es ausgerechnet Milo ist, der mir seine Hilfe anbietet – und der mich als seinen
Fall
betrachtet.
    Andererseits ist er ein Medi. Und Medis ist es natürlich gestattet, ihre Patienten zu berühren. Und welche Wahl bleibt mir, wenn ich zum Gruppenmeeting kommen will, ohne hinzufallen? Ich greife mit meiner linken Hand nach dem angebotenen Arm und halte mich daran fest.
    Als die schwarze Glastür zur Seite gleitet, verkrampfen sich meine Finger um Milos Arm, an seiner Seite gehe ich durch die Tür, die sich automatisch und lautlos sofort wieder schließt.
    Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick zurück und blinzele erstaunt. Von dieser Seite ist das Glas gar nicht schwarz, sondern durchsichtig wie ein Fenster, das einen freien Einblick in das gesamte Zimmer gewährt; man kann alles sehen, was in dem kleinen Raum geschieht. Auch wenn ich mich so gefühlt habe, war ich seit meinem Erwachen eigentlich niemals allein. Mein Schutzraum stand unter ständiger Beobachtung.
    Ein Teil von mir weiß, dass das in Ordnung ist, dass es auf einer Intensivstation notwendig ist, die Patienten jederzeit sehen zu können.
    Aber ein kleiner Teil von mir wird wütend. Wie konnten sie mich die ganze Zeit beobachten, ohne mir wenigstens zu sagen, dass sie es tun?

KAPITEL 3
    Zu fünft sitzen wir in einem kleinen Kreis auf weichen Matten, unsere Memo-Trainer haben jeweils mit geringem Abstand hinter ihrem Patienten Platz genommen. Der runde Raum ist erfüllt von ruhiger Musik, durchsetzt mit dem Klang rauschender Wellen. Wir sollen zu Beginn der Sitzung meditieren, hat uns einer der Memo-Trainer erklärt, denn die Meditation sei nach neuesten Studienergebnissen ein Türöffner zum Raum der verschütteten Erinnerungen.
    Meditation erlernen alle Schüler ab dem zehnten Lebensjahr in den JuniorCentern. Wir sind angehalten, einmal am Tag eine meditative Ruhephase von wenigstens fünfzehn Minuten einzuhalten, da dies erwiesenermaßen positiven Einfluss auf die Konzentrationsfähigkeit und die Bildung neuer Synapsen im Gehirn hat. Wie die anderen um mich herum schließe ich meine Augen und versuche, mich nur auf die Musik und meinen Atem zu konzentrieren. Ich lausche den Wellen und dem Ein und Aus der Luft in meinen Lungen. Aber ich kann mich nicht entspannen.
    Ich mag keine Meditation, wird mir plötzlich klar. Überrascht öffne ich die Augen, und ein aufgeregtes Kribbeln erfasst meinen Körper, als die Erinnerung greifbar wird: Ich konnte es noch nie leiden, dieses tägliche Meditieren. Schnell schließe ich die Augen wieder, damit niemand bemerkt, dass ich mich den Anweisungen des Memo-Trainers widersetze. Ich will nicht auffallen. Doch statt auf meinen eigenen Atem lausche ich nun auf die Atmung der anderen. Sie ist ruhig und gleichmäßig. Nach kurzer Zeit werde ich mutiger und öffne die Augen erneut. Die anderen Patienten sind in tiefe Meditation versunken, ebenso die Memo-Trainer. Wie ich tragen die vier Patienten weiße Hemden und Hosen aus leichtem Stoff, ihre Schädel sind ebenso von winzigen Stoppelhaaren überzogen wie meiner und auf den gebeugten Köpfen erkenne ich die gleichen Knöpfchen in der Haut.
    Mein Blick wandert durch den eckenlosen Raum: Er besitzt vier große Fenster, echte Fenster vermute ich, aber die Scheiben haben sich zum Schutz vor der Sonne verfärbt, und ich kann nicht sehen, was sich davor befindet. Wieder betrachte ich die anderen Patienten, und plötzlich habe ich den Eindruck, dass eine von ihnen blinzelt. Sie schlägt die Augen auf, noch bevor ich meine schließen kann, und schaut mich direkt an. Ein Blitz zuckt durch meinen Kopf. Ihre Augen haben

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