Frozen Time (German Edition)
verschiedene Farben, eins braun, eins blau.
So etwas habe ich zuvor noch nie gesehen, denke ich. Oder? Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, genau dasselbe schon einmal gedacht zu haben.
So etwas habe ich noch nie gesehen!
Aber das ist unmöglich! Das Mädchen lächelt mich an, belustigt, fast verschwörerisch, aber ich lächle nicht zurück. Ich mag sie nicht! Die Abneigung ist nur ein vages Gefühl, unerklärbarfür mich, denn ich kenne das Mädchen doch gar nicht, aber sie ist da, unleugbar.
Ein sanfter Gong ertönt, einmal, zweimal, dreimal, und auch die anderen kehren aus der Meditation zurück.
Wir sollen uns einander vorstellen. Das Mädchen mit den ungleichen Augen heißt Rose, erfahre ich. Ich frage mich, ob sie sich an ihren Namen selbst erinnern kann oder ob er ihr ebenso wie mir bloß von den Medis genannt worden ist, ob er für sie ebenso wenig Bedeutung hat.
Jaro, Silko und Kira sitzen außerdem in unserem Kreis. Rose ist sechzehn, genau wie ich, und genau wie ich hat sie sich in den Auswahltests für die Medi-Ausbildung qualifiziert. Bin ich ihr womöglich schon einmal begegnet? Unwahrscheinlich, denn wir lebten vor unserer Erkrankung in weit entfernten Wohnblocks. Die anderen drei sind Adults, und zu meiner Überraschung sind auch sie alle drei in medizinischen Bereichen tätig. Weitere Überschneidungen in unseren Lebensgeschichten, die wir uns erzählen wie etwas, das wir auswendig gelernt haben, gibt es allerdings nicht. Vermutlich sind wir uns vor dem heutigen Tag nie über den Weg gelaufen.
Erstaunlich, denke ich. Was für ein komischer Zufall, dass wir uns alle mit diesem gefährlichen Virus infiziert haben. Wie mag es nur dazu gekommen sein?
»Wie geht es euch heute?«, fragt Milo hinter mir. Jetzt, wo ich ihn nicht sehen kann, fällt mir zum ersten Mal seine Stimme auf, sie ist überraschend tief. »Tessa?«
»Ich … äh … bin«, stottere ich. Verwirrt wäre eine treffende Beschreibung. Verunsichert. Verängstigt. Aber das traue ich mich nicht zu sagen. Ich darf nicht unangenehm auffallen!»Mir geht es gut«, sage ich schnell und bemühe mich, meinen Blick dabei nicht auf den Boden zu senken.
»Mir geht es gut«, kommt es reihum wie ein Echo auch von den anderen Patienten.
»Habt ihr eigene Erinnerungen gehabt, von denen ihr uns heute berichten wollt?«, greift der nächste Memo-Trainer das Gespräch danach wieder auf.
Unisono schütteln wir im inneren Kreis den Kopf. Nein, keine Erinnerungen. Ich frage mich, ob bei den anderen eine ähnliche Leere im Kopf herrscht wie bei mir. Und ob sie ebenso wie ich doch eine Erinnerung haben, von der sie glauben, sie niemandem erzählen zu dürfen.
»Wir haben etwas für euch, von dem wir denken, dass es vielleicht helfen könnte.« Die Memo-Trainerin, die hinter Rose sitzt, greift neben sich in eine schmale Tasche und zieht etwas heraus: fünf kleine Geräte, die sie an uns verteilt. SmartSets, erkenne ich, als ich den flexiblen Bügel mit dem runden Chip am Ende in meiner Hand betrachte. Wie von selbst legt meine Hand den Bügel um mein Ohr und drückt den Chip an der Kopfhaut fest.
»Es sind Lernsets«, fährt die Trainerin fort. »Ihr habt damit eingeschränkten Zugang zum Gesellschaftsnetz sowie zu einer Auswahl der verfügbaren Artikel und Schriften in der Zentralbibliothek. Des Weiteren haben wir die Memofunktion aktiviert, damit ihr alle eure Gedanken festhalten könnt. Und wir haben einige eurer persönlichen Holos darauf gespeichert, von denen wir hoffen, dass sie eure eigenen Erinnerungen anregen werden.«
Auch die anderen Patienten haben die SmartSets wie selbstverständlich an der richtigen Stelle positioniert.
»Benötigt ihr eine Einweisung für die Geräte?«, fragt die Trainerin.
Nein, wir sind mit den Geräten vertraut. Diese Lernsets erhalten alle Schüler im Alter von vierzehn Jahren, die Vollversion wird allerdings erst aktiviert, wenn wir unsere Ausbildung beginnen, also mit sechzehn.
»Gut.« Sie reicht jedem von uns ein ReflektoPad. »Dann wollen wir euch jetzt Gelegenheit geben, die Geräte zu testen.«
Mit dem Mittelfinger aktiviere ich mein SmartSet und neige meinen Kopf ein wenig nach vorn, damit der Übertragungsstrahl auf das Pad in meinem Schoß fallen kann. Neugierig fahre ich mit dem Finger über das Auswahlmenü, bis ich zu den gespeicherten Holos gelange.
Die leicht unscharfe, aber dennoch plastische Aufnahme eines Mädchens erhebt sich über dem Pad; ich erkenne sofort, dass es sich um
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