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Frozen Time (German Edition)

Frozen Time (German Edition)

Titel: Frozen Time (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Lankers
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ein Bild von mir selbst handelt, denn es ist das gleiche herzförmige Gesicht mit dem etwas zu großen Mund, das auch Mitra mir mitgebracht hat. Mit Daumen und Zeigefinger zoome ich die Aufnahme zusammen, bis das ganze Mädchen vor mir erscheint.
    Das Holo scheint eine offizielle Aufnahme zu sein. Das Mädchen – ich – trägt die Schuluniform der Juniors, eine robuste, bequeme Hose in Dunkelblau, dazu eine weiße Bluse mit einem Emblem auf der linken Brust. Meine Finger zoomen das Bild an dieser Stelle heran und ich erkenne das Staatensymbol. Etwas stört mich an dem Holo, aber ich kann einfach nicht sagen, was es ist.
    Mein Daumen wischt leicht zur Seite und das nächste Holo erscheint. Zu sehen ist ebenfalls ein junges Mädchen, doch dasGesicht ist mir unbekannt. Eine Freundin? Wieder wischt mein Daumen weiter. Mehr Gesichter, darunter einige Juniors, aber auch einige Seniors, sie sind mir alle fremd. Als ich schließlich wieder beim ersten Holo ankomme, fühle ich mich leer. Außer mir selbst habe ich niemanden auf den Bildern erkannt.
    Enttäuscht und ermüdet schließe ich die Augen. Da erscheint es wieder wie von selbst: das Bild des Jungen. Er war auf keinem der Holos im SmartSet zu sehen. Automatisch bewegen sich mein Daumen und mein Zeigefinger auseinander, obwohl ich eigentlich weiß, dass dieses spezielle Bild nur in meinem Kopf existiert. Doch zu meinem eigenen Erstaunen vergrößert sich der Ausschnitt vor meinem inneren Auge tatsächlich, der Junge beginnt, sich zu bewegen, läuft, rennt, ruft: »Tessa! Warte!«
    Er meint mich. Ich weiß es, fühle zum ersten Mal, dass das mein Name ist.
    »Tessa! Nicht so schnell!«
    »Scht!«, höre ich eine zweite Stimme unterdrückt rufen. »Beeil dich!« Ich bin es, die da ruft. Ich, Tessa.
    Wir haben etwas vor, der Junge und ich, etwas Verbotenes.
    Vor Anspannung presse ich meine Hände fest zusammen, feine Stiche bohren sich in meine Handballen. Etwas Kleines befindet sich in meiner Hand, etwas Wertvolles, das ich schützen muss.
    »Kommt ihr klar?«
    Milos tiefe Stimme holt mich aus meiner Erinnerung zurück.
    Ich reiße meine Augen auf und spüre, dass mein ganzer Körper unter Hochspannung steht. Erst jetzt bemerke ich, dass meine linke Hand sich vor meiner Kehle zur Faust geschlossen hat, und zwinge sie nach unten, öffne sie und sehe die roten Punkte, diemeine kurz geschnittenen Nägel im Fleisch hinterlassen haben. Ich schwitze. Ein dünner Film bedeckt meine Haut an Kopf und Armen, wo der kurzärmelige Patientenkittel seine temperaturregulierende Wirkung nicht entfalten kann, und lässt mich zittern, als der sanfte Luftstrom der Raumtemperierung darüberstreicht.
    »Tessa, alles in Ordnung mit dir?« Milo beugt sich zu mir vor und betrachtet mich mit seinem unergründlichen Blick.
    »Ja, alles in Ordnung«, gebe ich schnell zurück, verberge meine Hand im Schoß und bemühe mich um eine entspannte Haltung. »Es ist nur so viel«, schiebe ich eine einfache Erklärung hinterher.
    »Ja«, bestätigt Milo. »Das ist es vermutlich.«
    Ich denke, dass es selbstverständlich ist, dass auch du dich maximal einbringst,
höre ich seine Stimme in meinem Kopf
.
    Ich sollte ihm von dieser neuen Erinnerung erzählen, am besten sofort, bevor sie verblasst, denke ich. Aber ich kann es nicht. Ich hatte schon vorher das Gefühl, dass diese Erinnerung nur mir gehört und dass ich sie mit niemandem teilen darf, weil das eine Gefahr bedeuten würde, für die ich keinen Namen habe. Jetzt bin ich mir dessen ganz sicher. Denn auf meinem SmartSet gab es kein einziges Holo von diesem Jungen!
    »Worauf hast du Lust?«, fragt Milo.
    »Hm?« Ich bin nicht in der Lage, ihm zu antworten. Überwältigt betrachte ich die hohe Glasfront des MediCenters, in der sich wie in einem Zerrbild die gegenüberliegenden Häuser und die Kronen der Bäume spiegeln.
    Eine weitere Woche ist vergangen, eine Woche, in der ich jeden Tag meine motorischen Übungen absolviert, meine Medikamentegenommen und mehrere Stunden mit Milo gearbeitet habe. Mein Körper ist wieder der alte, kraftvoll und ausdauernd, wie Mitra mir nach einer Stunde auf dem Laufband bestätigt hat. Doch die Sitzungen mit Milo haben uns beide zunehmend frustriert. Ich kann mich an nichts erinnern. Nichts, außer dem Jungen, von dem ich Milo noch immer nicht erzählt habe.
    Heute wollen wir etwas Neues probieren, einen Ausflug in den Alltag.
    »Die reale Begegnung mit der Außenwelt könnte dir helfen, dich an alltägliche Erlebnisse

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