Frozen Time (German Edition)
weitermachen?«, frage ich schnippisch. Ich merke, dass ich immer ungeduldiger werde.
»Natürlich.« In schneller Folge zeigt er auf weitere Dinge.
Der Schwarm Drohnen.
»Schmetterlinge«, sage ich.
Ein Mann mit einem DoggyRob.
»Hund.«
»Tessa«, unterbricht Milo. »Assoziieren heißt nicht, die Dinge einfach zu benennen, sondern zu sagen, was einem dazu einfällt. Zum Beispiel da.« Er weist auf einen Officer auf seinem Segway und sagt: »Pferd.«
Ich muss grinsen. War das etwa ein Anflug von Humor? Ob Milo überhaupt gemerkt hat, wie ironisch er klang? Aber er deutet bereits auf den MowRob, der noch immer seine Schneisen im Gras zieht.
»Igel.« Es ist das erste Wort, das mir spontan und wie von selbst in den Sinn kommt.
»Igel?« Milo wirkt überrascht. »Ist das auch ein Tier?«
»Klar.« Ist es denn möglich, dass Milo, der Musterschüler, keine Ahnung hat, was ein Igel ist? »Habt ihr
Tiere und ihr Lebensraum
nicht im Unterricht gesehen?« Es ist eine Folge der vielen Dokumentationen, die ich mir immer noch anschauen muss. Darin werden verschiedene Tierarten vorgestellt, die in unseren hochzivilisierten Metropolen nicht mehr existieren. In den landwirtschaftlich genutzten Gebieten, in denen keine Menschen wohnen, gibt es noch viele dieser Arten, die dort auch schon vor der großen Epidemie lebten, einige bedrohte Tierarten haben sich sogar erholen können.
»Doch«, sagt Milo zweifelnd, »aber an einen Igel kann ich mich nicht erinnern.«
»Klein und stachelig«, versuche ich ihm das Tier zu beschreiben und deute mit meinen beiden Händen die Größe an. Ich habe es so plastisch vor Augen, dass ich fast meine, nicht nur zu wissen, wie es aussieht, sondern auch, wie sich seine Stacheln anfühlen. Winzige Stiche in meiner Hand. Aber das ist natürlich unmöglich.
»Aha«, erwidert Milo nur. Man merkt deutlich, dass er enttäuscht ist, weil das freie Assoziieren mal wieder nichts gebracht hat. »Wollen wir vielleicht zurückgehen, bevor du meine Kenntnisse über die Tierwelt noch weiter auf die Probe stellen kannst?«
»Ja«, sage ich. »Lass uns zurückgehen.«
»Oder möchtest du lieber mit der Magnetrans fahren? Vielleicht bist du ja zu erschöpft zum Laufen.«
»Gute Idee.« Tatsächlich fühle ich mich müde. Ob das von der Bewegung an der frischen Luft herrührt oder von der Übung, die mich mehr angestrengt hat, als ich gedacht hätte, kann ich nicht sagen.
Wir gehen ein kurzes Stück, bis wir an einem der gläsernen Lifts ankommen, Zugängen zu den Magnetrans-Haltepunkten. Milo hält sein linkes Handgelenk mit dem Insignal vor das ScanPad und tippt dann den Zahlencode für das gewünschte Ziel, also das MediCenter, ein. Der Lift transportiert uns nach unten, und aus der gläsernen Kabine steigen wir direkt in die wartende Kapsel der Magnetrans.
Nachdem wir uns in die bequemen Schalensitze haben fallen lassen, schließt die Tür automatisch und unsere Kapsel setzt sich in Bewegung. Kurze Zeit später spüre ich die Beschleunigung, die Kapsel wurde in die Hauptader geschossen. Nur wenige Sekunden vergehen, dann koppelt sie sich bereits wieder aus und wir gleiten in langsamerem Tempo unserem Ziel entgegen.
Als die Magnetrans-Kapsel am Haltepunkt andockt, bringt uns der Lift direkt hoch zur Intensivstation.
»Ich muss uns kurz bei Mitra zurückmelden«, erklärt Milo, nachdem wir aus dem Lift ausgestiegen sind. »Kommst du einen Moment alleine zurecht?«
»Klar.« Ich bin zwar müde, aber ich weiß, dass ich es ohne Milo bis zu meinem Zimmer schaffen werde. Und ich bin froh, einen Moment allein zu sein, um die vielen verschiedenen Eindrücke zu verarbeiten.
Mit eiligem Schritt geht Milo voraus und verschwindet hinter der Tür des Medizimmers. Aus den großen Glasfenstern der anderen Patientenzimmer dringt helles Licht auf den langen Gang, aber er ist menschenleer.
»Tessa?« Mein Name erklingt als heiseres Flüstern neben mir durch die angelehnte Tür des Gruppenraumes. Erschrocken drehe ich mich um. In dem schmalen Türspalt erkenne ich Roses bleiches Gesicht.
»Was ist?«, frage ich. Da fasst sie mich am Arm und zieht mich zu sich in den Raum. Leise schließt sie die Tür.
»Ich habe auf dich gewartet, Tessa, ich muss mit dir reden!«
»Okay.« Ich winde meinen Arm aus ihrem klammernden Griff und bringe einen Schritt Abstand zwischen uns. Ich betrachte sie misstrauisch, was will dieses Mädchen von mir? Rose wirkt aufgewühlt, nervös beißt sie auf dem Daumennagel ihrer linken
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