Frozen Time (German Edition)
Hinsicht, dem das Lernen und die Arbeit über alles gehen.
»Ich lese viel«, fährt er fort. »Ich versuche, bei medizinischen Themen immer auf dem neuesten Stand der Forschungsergebnisse zu bleiben. Da bleibt nicht viel Zeit für anderes. Und ich trainiere natürlich jeden Tag im FitnessCenter.«
Wusste ich es doch!
»Mein Lieblingssport ist Holoboxen«, fährt Milo fort. Er spricht wohl nicht so ungern über sich selbst, wie ich bisher angenommen hatte. »Hast du das schon mal ausprobiert?«, fragt er enthusiastisch, dann schaut er mich verlegen an, als hätte er für einen kurzen Moment vergessen, dass ich mich an nichts erinnern kann.
Dabei weiß ich genau, wie Holoboxen funktioniert: Es ist der einzige von der Regierung genehmigte Kampfsport und wird gegen einen virtuellen Gegner ausgetragen, sehr schnell, sehr anstrengend, aber ohne Verletzungsgefahr. Ich habe nur tatsächlich keine Ahnung, ob ich es jemals selbst ausprobiert habe.
»Wollen wir zum Kanal?«, wechselt Milo abrupt das Thema, als wir die erste Kreuzung erreichen. Ich nicke. Es ist schön, ein Ziel zu haben und nicht planlos durch die Straßen zu laufen. Wie von selbst biege ich nach links ab und bemerke erst nach einigen Schritten, dass mein Begleiter nicht mehr neben mir geht. Ich drehe mich um und stelle fest, dass Milo mich interessiert mustert.
»Woher wusstest du, dass es in diese Richtung geht?«, fragt er, nachdem er mich mit wenigen schnellen Schritten eingeholt hat.
»Ich … « Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß es halt. So wie ich weiß, dass es in der Ersten Metropoledreißig Kanäle gibt, die alle sternförmig zum Power Tower laufen, und dass der Power Tower sich dort befindet.« Ich weise mit meiner linken Hand in die entgegengesetzte Richtung. »Es ist wie mit allen anderen Informationen, die mein Gehirn abgespeichert hat: Sie sind einfach da. Nur die Frage, ob ich vorher schon einmal hier war, kann ich dir nicht beantworten.«
Milo schüttelt den Kopf und streicht sich mit der Hand die Haare aus der Stirn. Ich habe mich an diesen Tick schon so gewöhnt, dass ich ihn nur noch selten registriere. Schweigend laufen wir weiter, bis wir schließlich den Kanal erreichen. Ein wenig erschöpft lasse ich mich neben Milo auf eine Bank sinken und sehe mich in der gepflegten Grünanlage mit ihren gestutzten Hecken und niedrigen Bäumchen um, die den Kanal zu beiden Seiten begrenzt. Sie ist schön, sauber und geordnet.
Ein Schwarm Schmetterlinge flattert an uns vorbei und ich betrachte das bunte Spiel der Flügel im Sonnenlicht. Obwohl ich weiß, dass es sich um Beobachtungsdrohnen handeln muss – echte Schmetterlinge treten eigentlich nie in so großen Schwärmen auf –, freue ich mich über den hübschen Anblick.
Auf der anderen Seite des Kanals fährt lautlos ein kleiner, kas– tenförmiger MowRob auf und ab und kürzt den saftig grünen Rasen. Das Wasser im Kanal ist leuchtend blau und fließt ruhig in Richtung Power Tower. Es ist so klar, dass ich sogar einige Fische darin erkenne, die silbrig glänzen. All das kommt mir bekannt vor, aber es weckt in mir keinerlei Erinnerungen.
»Und was machen wir jetzt?«, frage ich Milo ein bisschen ungeduldig.
»Wie wäre es mit freiem Assoziieren?«, schlägt er vor.
Ich seufze. Wir haben diese Memo-Methode schon ein paarMal ausprobiert. Milo zeigt mir irgendwelche Gegenstände oder nennt irgendwelche Begriffe, und ich soll spontan sagen, was mir dazu einfällt. Bisher ohne Erfolg.
»Na gut«, willige ich ein.
»Also los.« Milo deutet auf den Kanal.
»Wasser. Trinken. Gesund.« Meine Antworten kommen schnell und klingen wie auswendig gelernt.
»Was noch?«, hakt Milo nach.
»Fische. Tauchen. Keller«, bemühe ich mich und bemerke aus dem Augenwinkel, wie Milo fast unmerklich die Brauen runzelt.
»Warum Keller?«, will er wissen. Ich zucke mit den Schultern. Keine Ahnung!
»Ich kriege das nicht hin«, schmolle ich.
»Doch, du machst das gut«, versucht er, mich zu motivieren. »Du musst deine Gedanken nur loslassen. Wie wäre es damit?« Sein Finger richtet sich auf die Häuserfront, die uns auf der anderen Kanalseite gegenüberliegt. Hohe, graue Betonfassaden, durchbrochen von zahllosen Fensteröffnungen in Reih und Glied. Dazu fällt mir nichts ein außer Wohnen. Aber das sage ich nicht, es ist zu offensichtlich.
»Augen«, erfinde ich stattdessen. »Spiegel.«
»Spiegel«, echot er und wirkt amüsiert. »Typisch Mädchen.«
»Können wir
Weitere Kostenlose Bücher