Frozen Time (German Edition)
denn diese Patienten hier sind ja ganz offensichtlich keine
Frozen
!
»Was ist das denn?« Milos Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Er ist ebenfalls stehen geblieben und betrachtet die Monitore.
»Was?«
Sein Finger deutet auf eine Liste am seitlichen Rand eines Monitors, wo die Medikamente aufgeführt werden, die der Patient bekommt.
»Was sollen das für Substanzen sein?«, will Milo wissen.
Mein eigenes Erstaunen ist mindestens ebenso groß; zwar kenne ich diese Medikamente, aber ich habe keine Ahnung, warum sie den Patienten hier verabreicht werden. Es sind zum einen Mittel, die man früher zur Behandlung bei Krebserkrankungen verwendet hat, und zum anderen solche, die Patienten nach einer Organspende erhalten haben. Aber Krebserkrankungen kommen in unserer Gesellschaft dank entsprechender Impfungen nicht mehr vor. Und auch Organerkrankungen konnten aufgrund der genetischen Vorauswahl und unserer gesunden Lebensweise eliminiert werden, Transplantationen wurden damit überflüssig! Was also geht hier vor?
»Sieh mal.« Milo deutet auf einen anderen Monitor. Dort ist vermerkt, dass der Patient eine Stammzellspende erhalten hat. Aber warum? Erst wurde ein Gutteil seiner eigenen Abwehrzellen durch eine Chemotherapie zerstört – und dann durch fremde Stammzellen wieder aufgebaut. Das ergibt ja noch weniger Sinn!
»Lass uns lieber verschwinden, bevor die Officer jemanden gefunden haben, der ihnen die Tür aufmacht«, sagt Milo und streicht sich entschieden die Haare aus der Stirn, sichtlich bemüht, mich seine Verwirrung nicht merken zu lassen.
Ich reiße mich von den Monitoren los und wir hetzen weiter, der Gang gabelt sich und wir wählen den Weg nach links. Und dann, nach ein paar Metern, öffnet sich auf unserer rechten Seite der Blick durch ein großes Fenster in einen riesigen Operationsraum. Instinktiv weichen Milo und ich an die gegenüberliegende Wand zurück, als wir die Medis sehen, die sich darin um eine O P-Einheit versammelt haben. Doch auch diese Scheibe scheint einseitig verspiegelt zu sein, zumindest nimmt keiner der Medis von uns Notiz. Konzentriert gehen sie ihrer Arbeit nach, vermutlich hatte die OP bereits begonnen, als der Security-Aufruf kam, sich in der Eingangshalle einzufinden, und konnte nicht mehr abgebrochen werden.
Wie grüne Schatten in dem grell erleuchteten Operationsraum bewegen sich die Medis um den Patienten in ihrer Mitte, den ich von hier aus nicht erkennen kann. Doch was ich sehe, ist ein großer Avatar am Kopfende der O P-Einheit , der sich langsam um die eigene Achse dreht. Meine Augen starren wie gebannt darauf. In meinem Kopf dröhnt es. Etwas versucht aus den Tiefen meiner letzten noch immer verschütteten Erinnerungen an die Oberfläche zu gelangen. Ein Kribbeln kriecht mir vor Anstrengung über die Kopfhaut und eiskalt den Nacken hinab. Denn plötzlich weiß ich mit absoluter Gewissheit, was als Nächstes kommen wird.
»Das ist ja grauenhaft!«, keucht Milo, als von einer Sekunde auf die andere sämtliche Organe im Körper des Patientenavatarsrot zu leuchten beginnen. »Eine komplette Organentnahme! Warum tun sie das?« Milo klingt erstickt. Auch mein Hals ist wie zugeschnürt, sodass ich ihm nicht antworten kann, obwohl ich die Antwort auf seine Frage zu kennen meine. Nach Bestätigung suchend, schweift mein Blick durch den Operationssaal und bleibt an einer zweiten Operations-Einheit hängen, auf der ebenfalls ein Patient liegt, um den sich mehrere Medis geschart haben. Doch etwas ist anders, und ich weiß auch sofort, was: Dieser Patient liegt in einer Kryobox. Und das bedeutet … Dieser Patient ist ein
Frozen
! Er wird die Organe bekommen! Ich weiß es. Und will es doch nicht glauben, obwohl ich es mit eigenen Augen sehe.
Du hattest recht, Tessa, es konnte nicht funktionieren. Aber irgendwie hat es doch funktioniert.
Roses Stimme schwirrt durch meinen Kopf, wird zu meiner eigenen inneren Stimme.
»Nein!«, stöhne ich und schwanke. Geistesgegenwärtig greift Milo nach meinem Arm und stabilisiert mich, bevor ich gegen die Glasscheibe vor uns fallen kann. Genau in diesem Moment hören wir entfernte Stimmen. Sind das Medis oder sind es bereits die Officer?
»Wir müssen hier weg!« Milo hat sich bereits abgewendet, aber meine Beine fühlen sich noch immer an, als hätte ich keine Knochen.
»Los!« Er zieht an meinem Arm, mühsam setze ich mich in Bewegung, stolpere neben ihm her, den Gang entlang, um eine Biegung, auf eine Tür zu, die sich
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