Frozen Time (German Edition)
gibt es aber seit jeher ein Problem: Der Körper des Empfängers stößt die fremden Organe ab, weil er erkennt, dass es nicht seine eigenen sind. Um das zu verhindern, wurden früher den Empfängern Medikamente verabreicht, die die Immunabwehr unterdrückten, und zwar für den Rest ihres Lebens.«
Ich mache eine Pause, um zu sehen, ob alle begreifen, was ich zu erklären versuche. Die anderen lauschen still, mit konzentrierten Mienen. Mein Hals fühlt sich trocken an, ich schlucke kräftig und fahre mit meiner Erklärung fort.
»Bei
Projekt Frozen Time
läuft es genau andersherum: Alle unfreiwilligen Spender wie Kimmy erhalten eine Chemotherapie, die ihre eigenen Zellen mit den persönlichen Gewebemerkmalen zerstört, weshalb sie das Gefühl haben, krank zu werden. Was ihnen an Immunabwehrzellen bleibt, wird mit entsprechenden Medikamenten unterdrückt. Die Organe der Spender werden dadurch quasi entpersonalisiert. Und dann bekommen sie eine Stammzellspende von demjenigen
Frozen
, für den ihre Organe vorgesehen sind. Diese Stammzellen siedeln sich auf den frei gewordenen Plätzen an, und so passen sich die Organe bereits im Spenderkörper perfekt dem Empfängerkörper an. All das geschieht, um die Entnahme aller Organe vorzubereiten – und dann findet die Transplantation statt.«
»Das ist ja abartig!«, stößt Robin hervor. Als hätte er damit einen Bann gebrochen, macht sich auf allen Seiten die Entrüstung Luft.
»Unglaublich!«
»Widerlich!«
»Brutal!«
Ich zucke zusammen, als die empörten Stimmen wie Blitze einschlagen. Auch Kimmy scheint sich immer mehr in sich selbst zu verkriechen. Mit geschlossenen Augen liegt sie zwischen uns, ich bin mir gar nicht sicher, ob sie noch mitbekommt, was hier vor sich geht, ob sie vor Erschöpfung eingeschlafen oder womöglich wieder bewusstlos ist. Wird sie überleben, frage ich mich. Wird sie wieder gesund? Ich wage es zu bezweifeln, und die Erkenntnis macht mich traurig.
»Aber warum?«, will Robin wissen. »Warum tut die Regierung so etwas?«
»Ich fürchte, um ihr Macht zu wahren, ist unsere Regierung bereit, sehr weit zu gehen«, versuche ich eine Erklärung. Es klingt bitter, ich weiß, aber genauso fühlt es sich an. Seit ich die Operation beobachtet habe, bin ich fassungslos über die Skrupellosigkeit der Medis, die sich dafür hergeben, Menschen zu töten, um andere zum Leben zu erwecken. Mindestens ebenso fassungslos bin ich darüber, dass die Regierung dieses Projekt genehmigt hat. Denn entweder wurden die Parteimitglieder allesamt getäuscht, oder aber – und diese Vorstellung ist für mich kaum zu ertragen – sie billigen alles, was im ForschungsCenter passiert. »Sie brauchten Ergebnisse bei
Frozen Time
, um die Kritiker zum Verstummen zu bringen, also wurden Ergebnisse geschaffen!«
»Woher willst du das alles wissen?« Kaya hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht mich lauernd an. Ich atme tief durch, ich weiß, dass der Moment der absoluten Wahrheit gekommen ist.
»Ich weiß es, weil ich selbst den Fehler in den Forschungsergebnissen entdeckt habe«, sage ich. »Und ich war so naiv, den Leiter des Projekts darauf aufmerksam zu machen.«
»Wie bitte?« Kaya hat die Stirn so stark gerunzelt, dass sich auf ihrer Stupsnase eine steile Falte gebildet hat. »Was ist das denn für ein Unsinn?«
Doch plötzlich kommt Milo, der die ganze Zeit geschwiegen hat, mir zu Hilfe. »Es stimmt«, sagt er. »Auch wenn es unglaublich klingt. Tessa hat tatsächlich jahrelang bei
Frozen Time
mitgearbeitet.«
»Eine Sechzehnjährige, na klar.« Kaya klingt spöttisch.
»Sie wurde verjüngt«, sagt Milo, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. »Mit der gleichen Stammzelltherapie, die auch für die
Frozen
verwendet wird.«
»Man hat mich gezwungen, an der Verjüngung teilzunehmen. Sie wollten mich und mein Wissen damit aus dem Weg räumen!« Endlich ergibt alles für mich einen Sinn. Die Drohung, Finn zu töten, die Verjüngung und die geplante Gehirnwäsche, als ich anfing, mich zu erinnern. Ich war die ganze Zeit nicht mehr als ein Versuchsobjekt! Zusammen mit all diesen Gedanken drängt noch ein weiterer an die Oberfläche, ein unangenehmer, bedrohlicher, aber bevor ich ihn greifen kann, lenkt mich eine wütende Stimme ab.
»Wir müssen etwas unternehmen!« Die Stimme gehört Gernod, dem Mann mit der breiten Narbe am Kopf.
»Wir müssen die Juniors aus dem Center befreien!«, stimmt ihm Silvia zu, die ihr kleines Mädchen auf der Hüfte
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