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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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versunken ging Jane vom Marktplatz aus in die kühle, schattige Blackberry Lane. Die Bäume über ihr pulsierten geradezu vor knospender Lebendigkeit. Noch nie hatte Jane einen Frühling so intensiv wahrgenommen.
     
    Ein grauer Transporter stand vor der Kirche. Wer konnte das sein? Die Haupttür war geschlossen. Merrily ging mit ihrem dicken Schlüsselbund, mit dem sie sich wie eine Gefängniswärterin fühlte, auf die Rückseite der Kirche.
    Die kleine Tür an der Südostseite, die zur Kapelle der Bulls führte, war nur angelehnt. Als Merrily hindurchschlüpfte, erklang ein so mächtiger Ton aus der Orgel, dass sie zusammenfuhr. Ein Orgelton in einer leeren Kirche kann sich ziemlich gespenstisch anhören.
    «Hören Sie’s?» Das war Dermot Childs Stimme. «Sie bleibt hängen. Ich hab schon alles versucht.»
    «Hmm. Kann sein, dass sie ersetzt werden muss. Pfusch hält eben nicht für die Ewigkeit.»
    Offenbar war das Mr.   Gerald Watts, der Orgelbauer aus Bromsgrove. Ted hatte ihn erwähnt; seine Telefonnummer stand in dem Buch mit wichtigen Gemeindekontakten. Und Dermot hatte vergangene Woche gesagt, dass etwas an der Orgel repariert werden musste.
    «Können Sie so noch ein paar Wochen spielen, Dermot? Ich muss sie extra anfertigen, damit sie richtig passt.»
    «Klingt nicht, als hätte ich eine andere Wahl.»
    Merrily glitt in die Kapelle der Bulls. Sie war von der Orgel durch eine hölzerne Trennwand aus dem achtzehnten Jahrhundert abgeteilt. Sie stellte sich mit dem Rücken an die Trennwand.
    «Und was kostet der Spaß, Gerry? So ungefähr. Wenn es mehr als fünfzig Pfund sind, muss ich das erst abstimmen.»
    Die Sonne schien durch das Bleiglasfenster der Kapelle, und ein Strahl traf die Augen Thomas Bulls. Sie waren geöffnet. Das war Merrily zuvor noch nicht aufgefallen. Es war irritierend, nicht normal. Seine Lider sollten gesenkt oder geschlossen sein, um angesichts der Ewigkeit die übliche und gewöhnlich falsche Demut eines vermögenden Toten zu demonstrieren.
    «Ich mache es so, Dermot. Wenn’s nach einer größeren Sache aussieht, schicke ich den Kostenvoranschlag an Hayden, aber vorher rufe ich Sie an, damit Sie Bescheid wissen.»
    «Hayden ist nicht mehr da.»
    «Stimmt, das hatte ich vergessen. Hab ihr Foto in der
Hereford Times
gesehen. Hat nach einem ziemlich guten Tausch ausgesehen, falls das Foto nicht geschmeichelt war.»
    «Es war nicht geschmeichelt, Gerry. Im Gegenteil. Sie ist ein echter Knaller. Ich kann Ihnen sagen, da fällt es manchmal schwer, sich aufs Orgelspielen zu konzentrieren.»
    Merrily lächelte unwillkürlich. So redeten manche Leute wohl.
    «Muss ja eine ganz neue Erfahrung für Sie sein», sagte Mr.   Watts, «für die Pfarrerin zu schwärmen.»
    «Es ist schon komisch, Gerry. Fast so wie bei den Krankenschwestern. In der Tracht haben sie so ein gewisses Etwas. Die Pfarrerin ist ziemlich traditionell eingestellt und trägt diese lange, angeblich formlose schwarze Soutane. Nur dass sie an ihr keinbisschen formlos ist. Überall an den richtigen Stellen Rundungen. Und dann noch diese Knöpfe vorne runter. Sind bestimmt über hundert. Da stellt man sich doch gern vor, wie man die einen nach dem anderen ganz langsam aufknöpft. Wahnsinn.»
    Merrily spürte, dass sie rot wurde.
    «Und was sie wohl darunter tragen?», fragte Mr.   Watts.
    «Genau. Was haben sie wohl darunter an? Bei dem Gedanken wird mir ganz anders. Könnte auch gar nichts sein, oder? Ich meine,
überhaupt
gar nichts.»
    «Davon träumen Sie wohl.»
    «In meinen Träumen, Gerald, trägt sie nichts außer diesem blödsinnigen Hundekragen. Stellen Sie sich das mal vor: rosa Haut, braune Nippel, weißer Kragen.»
    Merrily war das Lächeln vergangen. Sie schaute Thomas Bull in die weit geöffneten toten Augen. Er trug, was zu seiner Zeit als geradezu streng geschnittenes Jackett gegolten haben musste. Der steife Kragen reichte ihm fast bis zum Kinn. Ein blankes Schwert lag neben ihm. Thomas war aus dem weichen Sandstein der Region gemeißelt worden, und nach all der Zeit waren die Kanten der Steinfigur nicht mehr scharf. Seine Augen erwarteten den Anblick Gottes ohne Furcht, ohne Entschuldigungen, damals, im Jahr 1696, ein Vierteljahrhundert nachdem er eine zentrale Rolle bei der Hetzjagd auf Wil Williams gespielt hatte. Der Gesichtsausdruck Thomas Bulls war ernst, aber als Merrily seine Züge betrachtete, schienen die Sonnenstrahlen ein herablassendes Lächeln auf seine vollen Lippen zu malen.
    «Für solche

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