Frucht der Sünde
Phantasien landen Sie noch in der Hölle, Dermot.»
«Kann sein», sagte Dermot Child. «Und vielleicht ist es das sogar wert. Vergessen Sie Ihre Mütze nicht.»
Sie gingen von der Orgel weg, und Merrily hatte keine Zeit mehr, ungesehen die Tür zu erreichen.
Lols Cottage lag ziemlich einsam am Ende eines Sträßchens, das kurz dahinter zu einem schmalen Weg wurde. Um das ganze Haus herum blühten die Apfelbäume von Powells Pflanzung.
Jane folgte dem Gartenweg bis zur Haustür. Der Rasen hätte mal gemäht werden können. Sie klopfte an die weißgestrichene Tür, um die schon frühe Rosensorten blühten. Keine Reaktion. Eine kleine schwarze Katze beobachtete sie von einem Zaunpfahl aus.
Sie spähte durch das Fenster in den Raum, in dem sich Lol mit Karl Windling unterhalten hatte. Die Einrichtung war so spärlich, dass man glauben konnte, das Cottage sei nicht bewohnt.
Und wenn ich zu spät gekommen bin?
In Janes Vorstellung tauchte ein Bild von Lol auf, wie er schlaff über seinem Bett lag, die ausgestreckte Hand nur Zentimeter von einem kleinen braunen Pillenfläschchen entfernt. Ihr fiel ein, dass es ein berühmtes Gemälde von einem jungen toten Dichter gab, das ihrer Vorstellung sehr ähnlich sah.
Schließlich trat sie vom Fenster weg, da hörte sie hinter dem Cottage leise Musik.
Ein halbhohes Türchen hing in rostigen Angeln, wo der Gartenweg um das Haus herumführte. Jane schob es auf und ging leicht beklommen hindurch. In dem kleinen Garten hinter dem Haus standen vier Apfelbäume, alle neigten sich von dem Cottage weg, als wollten sie sich Powells Apfelgarten anschließen. Sonnenlicht fiel schimmernd durch die zarten weißen Blüten.
… and it’s sometimes on the sunny days
you feel you can’t go on.
Vorsichtig näherte sich Jane der Hintertür. Sie wollte gerade klopfen, als sie die Musik wieder hörte. Sie erklang hinter ihr, kam also nicht aus dem Cottage, sondern aus dem Apfelgarten, der vonLols Garten durch einen schmalen Pfad getrennt war, der, wie Jane wusste, als Reitweg genutzt wurde.
Sie ging zwischen den Apfelbäumen hindurch, und die Musik driftete immer wieder zu ihr. Es klang wie die Musik von der CD, entrückt und melancholisch. Sie kam an ein anderes altes Gartentürchen, das zu dem Reitweg und dem Apfelgarten führte. Jane ging auf die Musik zu.
Der Steinsarg gab seine Kälte an ihre Wange ab. Wütend hatte sich Merrily in ihrer Soutane in die Ecke gekauert – sich in ihrer eigenen Kirche versteckt! –, als Dermot Child und Mr. Watts hinausgegangen waren. Es schien Merrily, als sei die Soutane beschmutzt worden, als hätte Child schon die Knöpfe befingert. Sie hätte sich am liebsten nochmal in die Badewanne gelegt und sich genauso heftig abgeschrubbt wie an dem Abend, an dem sie sich das Blut Edgar Powells abgewaschen hatte.
Nachdem die beiden draußen waren, herrschte Stille in der Kapelle, doch sie blieb noch einen Moment hinter dem Grabmal, für den Fall, dass Watts und Child noch einmal zurückkämen.
Nur ein paar Steine trennten sie von Thomas Bulls Gebeinen. Merrilys Blick fiel auf einen Teil des Grabmals, etwas über der Sockelplatte, der offenkundig repariert worden war. Es sah aus, als hätte sich Thomas Bull im Tod ausgestreckt und ein paar der Steine weggetreten, um sich mehr Platz zu verschaffen.
Thomas Bull musste Traherne gekannt haben. Doch er war schon in London gewesen, als sein Freund von Bull und Konsorten angeklagt worden war.
Woher wusste James eigentlich, welche Rolle sein Vorfahre in dieser Sache gespielt und welche Gefühle ihn bewegt hatten? Gab es dazu Dokumente in der Familie? Wie war Wil Williams’ Geschichte überhaupt überliefert worden?
Schließlich erhob sich Merrily und klopfte den Staub von ihrerSoutane. «Eingebildete Mistkerle», murmelte sie und meinte Thomas Bull und seinen abwesenden Nachkömmling. «Scheint sich wirklich nie was zu ändern.»
«Das stimmt», hörte sie da eine Frauenstimme hinter sich. «Jedenfalls gilt es für diese Familie.»
Merrily fuhr herum.
Alison trug einen knöchellangen, sandfarbenen Rock und ein schwarzes Baumwoll-Shirt, in dessen Ausschnitt ein goldener Anhänger schimmerte. Außerdem trug sie ein wissendes Lächeln zur Schau.
«Ist Ihnen etwas heruntergefallen?»
«Nur ein Schlüssel», log Merrily. Sie hatte weder die Tür noch Schritte gehört. «Sind Sie schon lange hier?»
«Bin gerade erst hereingekommen.» Sie hatte vor Gloss schimmernde Marilyn-Monroe-Lippen,
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