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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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für immer ein Geheimnis bleiben, denn als Williams von seiner bevorstehenden Verhaftung erfuhr, erhängte er sich. Das wurde natürlich als Beweis für seine Schuld angesehen. Er wurde in ungeweihter Erde begraben, und nur ein Apfelbaum zeigte die Stelle an. Die Leute erzählen, dass weder dieser Baum noch ein anderer in der Nähe jemals mehr einen Apfel
getragen hat. Der Bauer, der die Anklage erhoben hatte, starb kurz nach dem Vorkommnis. Seine Familie versuchte, die Apfelpflanzung stückweise zu verkaufen. Danach konnte Ledwardine seinem Ruf als «Dorf im Apfelgarten» nie mehr gerecht werden.
     
    Merrily legte das Buch auf den Kiefernholztisch, der in dieser Scheune von einer Küche allenfalls wie ein Fußschemel wirkte, und kochte sich einen Tee. Zweifellos stärkte dieser Bericht Coffeys Standpunkt, Williams sei absichtlich ans Messer geliefert worden, und das konnte nur mit Zustimmung das örtlichen Friedensrichters Thomas Bull geschehen sein. Doch von dieser Erkenntnis bis zu der Vorstellung, Wil sei schwul gewesen, war es ein weiter Weg.
    Irgendeine wesentliche Information fehlte.
     
    Jane wand sich vor Peinlichkeit. Sie war davon überzeugt, dass es zum Schlimmsten gehörte, jemand anderen in seinen Gefühlen zu verletzen.
    «Es tut mir leid», sagte sie. «Ich wusste nichts davon.»
    «Sei nicht dumm», erwiderte Lucy Devenish. «Das konntest du ja auch kaum. Du bist zu jung dafür.»
    Das Buch, das vor Jane auf dem Verkaufstresen der Ledwardine Lore lag, war ein dünnes Kinderbuch. Auf dem Umschlag war vor einem grünlichen Wassserfarbenhintergrund ein kleines Mädchen inmitten einer Lichtung zu sehen. Die Bäume waren nicht hoch, doch ihre verschlungenen Äste ergaben vage Gesichtsformen mit Augen, die das Mädchen anschauten. Es wirkte sehr bedrohlich. Das Mädchen blickte ängstlich über seine Schulter.
    Das Buch hieß
Der kleine grüne Apfelgarten
.
    Es war von Lucy Devenish.
    «Den Titel habe ich von Walter de la Mares Gedicht», sagte Lucy. «Kennst du es?»
    Allerdings. Jane erinnerte sich genau, welchen Schrecken ihr dieses Gedicht damals in der Grundschule eingejagt hatte. Es handelte von jemandem, den man nicht sehen konnte, der in diesem kleinen grünen Apfelgarten aber immer auf einen wartete. Und einen immerzu beobachtete.
    «Es hat mir Angst gemacht.»
    «Sehr gut», beschied Lucy. «Die Kinder heutzutage fürchten sich nicht mehr oft genug. Ein Kind, das ohne Angst aufwächst, wird als Erwachsener zur Gefahr für die Allgemeinheit.»
    Jane schlug das Buch auf. «Neunzehnhundertvierundsechzig», sagte Lucy. «Ungefähr sieben Jahre später wollten sie es nicht mehr weiter auflegen. Geschichten von Naturgeistern und Elfen. Oh, bloß nicht. Sie wollten Bücher über Roboter und Raumschiffe.»
    Ein zweites Buch hatte unter dem ersten gelegen. Es war größer, und die Einbandzeichnung wirkte sehr viel heiterer. Sie zeigte eine sonnenbeschienene Hügellandschaft mit lächelnden Blumen und freundlich dreinblickenden Bäumen. Auch hier war ein kleines Mädchen zu sehen. Es lief auf einem langen Weg und wirkte sehr glücklich. Dieses Buch hieß
Die anderen Stimmen
.
    «Haben Sie nie daran gedacht, die Bücher selbst neu drucken zu lassen und sie hier im Laden zu verkaufen?»
    «Um Himmels willen», sagte Lucy. «Das wäre ja wohl eine echte Verzweiflungstat gewesen. Weißt du, es macht mir überhaupt nichts aus, dass die Bücher nicht mehr auf dem Markt sind. Ich habe sie nur rausgeholt, weil ich will, dass du sie liest. Jetzt gleich. Hier ist ein Stuhl. Sei ein gutes Mädchen, setz dich da drüben hin und lies die Bücher. Du brauchst für jedes ungefähr zwanzig Minuten. Sind zwar nur Kinderbücher, aber vielleicht wird dir trotzdem manches klar. Lies zuerst
Die anderen Stimmen
. Und wenn du Fragen hast, stell sie ruhig.»
    Daraufhin schien Lucy jedes Interesse an Jane zu verlieren und machte sich mit einem Staubwedel über die Apfelbecher her.
    Jane hatte keine Wahl. Also setzte sie sich und begann zu lesen. Das kleine Mädchen hieß Rosemary, und weil ihre Mutter krank war, wohnte sie eine Zeitlang bei ihren Großeltern auf einem abgelegenen Bauernhof in Herefordshire. Weit und breit gab es keine Kinder zum Spielen, und deshalb wanderte das Mädchen durch die Felder und sprach mit den Blumen und den Bäumen, die ihr auch antworteten. Der Löwenzahn hatte eine hohe
gelbe
Stimme, die ein bisschen wie Glockenläuten klang. Die Glockenblumen dagegen, von denen immer viele dicht beieinander

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