Frucht der Sünde
Coffey wollte sie testen.
«Kein Problem», sagte Merrily schicksalsergeben. «Machen Sie nur.»
Am nächsten Tag verkündete Jane, dass sie den Nachmittag über im Ledwardine Lore den Verkauf übernehmen würde. Lol Robinson, der gewöhnlich seine Schüchternheit überwand, um sich an Lucys freiem Nachmittag darum zu kümmern, war in die Nähe von Oxford gefahren, um mit Gary Kennedy an ein paar Songs zu arbeiten, also …
«
Der
Gary Kennedy?»
«Oh Mom, wie peinlich kann man eigentlich sein?
Der
Gary Kennedy?»
«Hör mal, als ich in deinem Alter war …»
«Jaja, da war er berühmt. Ich finde es unglaublich, dass jemand mit Lols Fähigkeiten für so eine Jammergestalt wie Gary Kennedy die Texte schreibt, aber was kann man machen?»
Merrily beobachtete vom Fenster aus, wie Jane den Marktplatz überquerte und in dem Durchgang zu den Stallungen verschwand. Sie wollte sicher sein, dass sie auch wirklich ins Ledwardine Lore ging. Dieses Misstrauen war natürlich nicht schön, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Tochter und Lucy ihr etwas verschwiegen.
Als Jane nach fünf Minuten nicht wiederaufgetaucht war, ging Merrily in die Eingangshalle, wo Alf in einem Regal neben dem Stromzähler ein paar Bücher zur Lokalgeschichte hatte stehenlassen. Sie nahm einen zerlesenen Band mit dem Titel
Die Schwarzweiß-Dörfer von Herefordshire. Ein kurzer geschichtlicher Abriss
herausund nahm ihn mit in die Küche, in der sie provisorisch zwei Sessel und den Fernseher aufgestellt hatten.
Also. Stichwortverzeichnis.
Williams, Wil
, Seite 98.
Merrily schob einen Sessel neben den Aga und setzte sich. Viel würde sie vermutlich nicht erfahren, aber es war immerhin ein Anfang.
«Du bist mir ausgewichen.»
Colette stand bei den Stallungen, sodass Jane an ihr vorbeimusste. Sie trug einen kurzen roten Plastikregenmantel und vermutlich nichts darunter.
«Nein, bin ich nicht.»
«Bist du verdammt nochmal doch, Janey. Ich muss ewig im ganzen Dorf rumlaufen, um nach der geliebten Tochter von Hochwürden Mami zu suchen, und dann erfahre ich, dass du unter ziemlich mysteriösen Umständen im Fuchsbau dieser Devenish wiederaufgetaucht bist.»
«Das ist doch Blödsinn. Daran war überhaupt nichts mysteriös. Ihr …»
«Oh, Janey. Jetzt sag’s mir endlich. Wir reden doch über den Apfelgarten, oder?»
«Nein, überhaupt nicht.»
«Es gibt nur zwei Möglichkeiten, bei denen der Apfelgarten eine Rolle spielt. Erstens: Du hast heimlich einen Freund.»
«Du Hexe», sagte Jane. «Woher weißt du das?»
«Oder es hat was mit der Nacht zu tun, in der du mit dem Cider auf einen Trip gekommen bist, wie ich mit Cider noch nie einen erlebt habe. Du weißt, wie ich so was hasse.»
«Vielleicht liegt das daran, dass du schon seit Jahren regelmäßig blau bist.»
«Daran allein kann’s ja wohl nicht liegen. Außerdem hat es irgendwas mit der Devenish zu tun, oder? Diese Kuh mit ihremgrässlichen kleinen Laden, in dem man sich nicht mal um sich selbst drehen kann vor lauter Elfen und schrottigen Andenken. Da gehst du doch gerade hin, oder?»
«Na und? Ich habe dort jetzt einen Job fürs Wochenende. Es sind eben nicht alle Leute auf der Reichtumsskala so weit oben wie die Cassidys.»
«Ich finde noch raus, was hier wirklich läuft», sagte Colette mit drohender Stimme. «Darauf kannst du Gift nehmen.»
Mitte des 17. Jahrhunderts waren in der westlichen Landeshälfte Verfolgungen wegen Hexerei selten. Eine denkwürdige Ausnahme bildete der Fall Wil Williams von Ledwardine. Er war der zweite englische Pfarrer, der in dieser Epoche angeklagt wurde, mit dem Teufel im Bund zu stehen. Etwa fünfundzwanzig Jahre früher war Hochwürden John Lowes, der Pfarrer von Brandeston in Suffolk, von dem berüchtigten Hexenjäger Matthew Hopkins vor Gericht gebracht worden. Lowes, der über achtzig Jahre alt war, als er in den Burggraben von Framlingham Castle getaucht wurde, hatte angeblich den Tod eines Kindes und mehrerer Rinder herbeigehext und Geister dazu aufgerufen, ein Schiff vor Harwich zu versenken.
Im Vergleich dazu waren die Unterstellungen, mit denen es Williams zu tun hatte, verhältnismäßig harmlos. Er wurde von einem ansässigen Bauern beschuldigt, seine Apfelernte ruiniert zu haben. Jedoch sagte ein anderer Zeuge, er habe den Pfarrer mit schimmernden Geisterwesen in dem Apfelgarten tanzen sehen, der zu dieser Zeit noch die gesamte Kirche umgab.
Ob die Anklage vor Gericht Bestand gehabt hätte, wird
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