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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Manchmal hörte er gar nicht, wenn Marianne ihm etwas sagte, in Gedanken versunken vor einem mit Buschwerk überwucherten Stück Wald, einem unbebauten Felde, einer Quelle, die über den Boden rieselte und sich in einem Sumpf verlor. Und dennoch fühlte sie, daß sie in seinem Herzen nichts Gleichgültiges oder Trauriges sei; denn sobald er zu ihr zurücklehrte, lachte er wieder mit seinem frohen und liebevollen Lachen. Sie selbst sandte ihn häufig so hinaus ins Freie, auch allein; und wenn sie erraten hatte, daß sich eine bedeutungsvolle Wendung bei ihm vorbereitete, so sagte sie doch kein Wort und wartete vertrauend, daß er selbst spreche.
    Als er nun wieder in seine Träumerei verfiel, den Blick in die Ferne verloren, das weite Gebiet dieser Ländereien umfassend, rief sie plötzlich: »Oh, sieh nur, sieh nur!«
    Sie hatte den Wagen mit Gervais unter die große Eiche gerollt, wo seine Räder in den Gräsern des Bodens verschwanden; und während sie die Milch für die Vesper in einem kleinen Silberbecher bereitete, bemerkte sie, daß der Kleine den Kopf erhoben hatte und ihrer Hand folgte, in welcher das Silber in der Sonne funkelte. Sie machte die Probe noch einmal, und abermals folgten die Augen des Kindes dem hellen Stern, der zum ersten Male in der wirren Dämmerung seiner Seele aufleuchtete.
    »Oh, man soll mir nicht sagen, daß ich mich täusche, daß ich mir etwas einbilde. Er sieht schon, es ist gar kein Zweifel! Mein Engel, mein süßer Schatz!«
    Sie warf sich über das Kind und küßte es leidenschaftlich in der Freude über diesen ersten Blick.
    »Und da, da!« rief Mathieu, der mit dem gleichen Entzücken sich über den Wagen gebeugt hatte, »jetzt lächelt er dich sogar an. Wahrhaftig! Sobald diese kleinen Dinger zu sehen anfangen, fangen sie auch zu lächeln an.«
    Auch sie lachte freudig auf: »Du hast recht, er lacht, er lacht! Ach, wie süß er ist, und wie glücklich bin ich!«
    Und Vater und Mutter lachten gemeinsam und glückselig über dieses kaum sichtbare, flüchtige Kinderlacheln, das über sein Gesicht geglitten war wie ein Kräuseln über den klaren Spiegel einer Quelle.
    Dann rief Marianne fröhlich die andern, die rings um sie im jungen Grase tollten.
    »Kommt, Rose, Ambroise, Blaise, Denis, kommt! Es ist Zeit zum Essen.«
    Sie liefen alle herbei, und die Tafel wurde auf dem Grase gedeckt. Mathieu hatte den Korb abgeknüpft, der vorn an dem kleinen Wagen befestigt war, und die Mutter entnahm ihm die Butterbrote und begann sie zu verteilen. Ein tiefes Schweigen folgte, währenddessen die kleinen Mäuler nur damit beschäftigt waren, zu kauen und mit einem gesunden Appetit zu essen, den zu sehen ein Vergnügen war. Aber laute Schreie ertönten, Monsieur Gervais wurde ungnädig, weil er nicht als erster bedient worden war.
    »Ah ja, freilich, ich vergesse dich,« sagte Marianne heiter. »Gleich sollst du dein Teil bekommen. Mach dein Schnäbelchen auf mein Engel.«
    Mit einfacher und ruhiger Bewegung öffnete sie ihr Kleid und enthüllte ihre weiße Brust, deren rosige Spitze von Milch geschwellt war, wie eine Knospe, aus der die Lebensblume sich entfalten sollte. Sie tat dies unter der Sonne, die sie mit Goldglanz übergoß, angesichts der weiten Landschaft, die sie sah, ohne jede Scham oder auch nur Unruhe, nackt zu sein, denn die Erde war nackt, die Bäume und die Pflanzen waren nackt und quollen über von Lebenssaft. Sie setzte sich ins hohe Gras, sie verschwand beinahe in dieser Fülle, in diesem überreichen Wachstum der Aprilkeime; während das Kind an ihrer offenen Brust in langen Zügen die warme Milch trank, ebenso wie die unzähligen Pflanzen ringsherum den Saft der Erde tranken.
    »Was für ein Hunger!« rief sie. »Willst du wohl nicht so stark beißen, du kleiner Vielfraß!«
    Mathieu war stehen geblieben, entzückt über das erste Lächeln des Kindes, glücklich über diesen großen Hunger, über diese Milch, die durch die Welt floß, über die Butterbrote, die die andern verschlangen. Wieder überkam ihn sein Schöpfertraum, und in seinem Hochgefühle entschlüpfte ihm die erste Andeutung über die Idee, die ihn erfüllte und über die er bisher noch zu niemand gesprochen hatte.
    »Nun, es ist höchste Zeit, daß ich mich ans Werk mache, daß ich ein Königreich gründe, wenn ich will, daß diese Kinder genug zu essen haben, um zu wachsen. Und man muß auch an die denken, die morgen kommen, die den Tisch verlängern werden, von Jahr zu Jahr … Willst du hören, soll ich

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