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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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dieser Hexe!«
    »Und wissen Sie,« fuhr Mathieu fort, »was mich wundert, das ist, daß sich noch kein kluger und unternehmender Kopf gefunden hat, der diesen riesigen, brachliegenden Besitz nutzbar macht, dieses Chantebled, aus welchem der alte Seguin einmal eine königliche Domäne machen wollte. Es gibt da weite unbebaute Flächen, Wälder, von denen man einen Teil schlagen könnte, dürren Boden, den man leicht urbar machen könnte. Welch eine schöne Aufgabe, welch ein Schöpfungswerk für einen Menschen!«
    Lepailleur blieb einen Augenblick starr. Dann brach er los: »Aber, mein werter Herr, Sie sind nicht bei Sinnen, verzeihen Sie, daß ich Ihnen das sagen muß. Chantebled kultivieren, diese Steinfelder urbar machen, sich leibhaftig in diese Sümpfe versenken! Sie könnten Millionen da hineinstecken und würden keinen Scheffel Hafer einheimsen. Es ist ein verwünschter Fleck Erde, den der Vater meines Großvaters so gesehen hat, wie er ist, und den der Sohn meines Enkels noch immer in demselben Zustande sehen wird. Ah, ich bin nicht neugierig, aber den Dummkopf möchte ich kennen, der eine solche Verrücktheit unternehmen würde! Der würde sich in eine schöne Klemme bringen!«
    »Lieber Gott, wer weiß?« erwiderte Mathieu gelassen. »Man muß nur lieben, um Wunder zu wirken.«
    Die Lepailleur, die ein Dutzend Eier herbeigeholt hatte, stand bewundernd vor ihrem Mann, der dem Städter so gründlich heimleuchtete. Beide waren vollkommen einig in ihrer geizigen Wut darüber, daß sie nicht die Taler ohne große Mühe scheffelweise einheimsten, ebenso wie in ihrem Ehrgeiz, aus ihrem Sohne einen Herrn zu machen, da nur ein Herr sich bereichern könne. Als Marianne, nachdem sie die Eier unter ein Kissen in Gervais’ Wagen versorgt hatte, Abschied nahm, deutete die Lepailleur wohlgefällig auf ihren kleinen Antonin, der, nachdem er sein Loch fertig gegraben, sich nun damit unterhielt, hineinzuspucken. »Oh, er ist sehr aufgeweckt, er kann schon lesen, und wir werden ihn bald in die Schule schicken. Wenn er seinem Vater nachgerät, so bin ich sicher, daß er kein Dummkopf wird.«
    Etwa zehn Tage später, an einem Sonntag, als Mathieu mit Marianne und den Kindern sich auf einem Spaziergange befand, kam ihm plötzlich die letzte Offenbarung, die Erleuchtung, welche die Entscheidung über ihr ganzes Leben herbeiführen sollte. Sie hatten vor, den ganzen Nachmittag draußen zu bleiben, und wollten das Vesperbrot auf freiem Felde, im hohen Grase der Wiesen nehmen. Und nachdem sie die Waldpfade durchstreift, die Heiden durchquert hatten, waren sie zum Waldesrande zurückgekehrt und lagerten sich an dem Stamm einer Eiche. Von da sahen sie die weite Landschaft sich erstrecken, von dem Pavillon, den sie bewohnten, dem ehemaligen Jagdrendezvous, bis zu dem fernen Dorfe Janville; zu ihrer Rechten befand sich das große Sumpfplateau, von welchem sich dürre, unfruchtbare Hänge herabsenkten, deren Wellen sich dann zu ihrer Linken verliefen; während hinter ihnen die Masse der Wälder lag, die durchschnitten waren von Lichtungen, von Wiesenflächen, über die noch nie eine Sense hingemäht hatte. Und keine Seele ringsherum, nichts als diese im Urzustande gelassene Natur, die unter der hellen Sonne eines prächtigen Apriltages in erhabener Ruhe dalag. Alle die angesammelte Erdsäfte schienen den Boden zu schwellen, vereinigt in einem unterirdischen, unbekannten See, dessen lebenssatte Flut man in den mächtigen Bäumen emporsteigen fühlte, in dem üppigen Pflanzenwuchse, dem wuchernden Reichtum von Nesseln und Unkraut, der den Boden bedeckte. Ein Duft unbefriedigter Liebe, ein starker und herber Duft, stieg aus der Vegetation empor.
    »Lauft nicht zu weit weg!« rief Marianne den Kindern zu. »Wir rasten unter dieser Eiche, und wir werden sogleich vespern.«
    Blaise und Denis waren schon davongerannt, von Ambroise gefolgt, mit dem sie ein Wettlaufen veranstalteten, während Rose ihnen schreiend und erbost folgte und sie zurückrief, damit sie Blumenpflücken spielen sollten. Sie waren trunken von der freien Luft, sie waren von Blumen und Gräsern bis in die Haare bedeckt, wie in den Büschen losgelassene junge Faune. Sie kehrten zurück und banden Sträuße; dann galoppierten sie wieder von dannen, die großen Brüder mit der kleinen Schwester auf dem Rücken, in toller Jagd.
    Während ihres ganzen Spazierganges, der schon eine Weile gedauert hatte, war Mathieu zerstreut geblieben und hatte träumerisch um sich geblickt.

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