Fruchtbarkeit - 1
und vorzeitig schöne Tage beeilten das Erwachen der Erde. Eines Morgens, da Marianne und die Kinder einen Spaziergang nach dem Plateau zu Mathieu unternahmen, stießen sie einen Ruf des Erstaunens aus, so hatten die ersten Sonnenstrahlen in einer Woche das den Sümpfen abgerungene weite Feld verwandelt. Es war nun ein riesiger grüner Samtteppich, eine endlose Fläche, welche das dicht und üppig in die Halme schießende Korn mit einer smaragdfarbenen Decke überzogen hatte. Niemals hatte ein Feld eine so wunderreiche Ernte versprochen. Und in dem warmen und hellen Aprilmorgen, inmitten der endlich aus dem Winterschlaf erwachten, im ersten Jugendreize prangenden Landschaft, jubelte die Familie über diesen Segen, über diese im Entstehen begriffene Fruchtbarkeit, die alle ihre Hoffnungen übertreffen zu wollen schien. Und ihr Entzücken steigerte sich noch, als sie auf einmal bemerkten, daß auch der kleine Gervais sich entpuppt hatte, zum selbständigen Leben erwacht war, sich anschickte, seine Kräfte zu gebrauchen. Da er in seinem kleinen Wagen herumstrampelte und seine Mutter ihn herausnahm, versuchte er den ersten Flug und machte taumelnd vier Schritte, um sich dann mit seinen Händchen an die Beine des Vaters anzuklammern. Ein Freudengeschrei erscholl.
»Er geht, er geht!«
Ach, dieses erste Stammeln des Lebens, diese allmähliche Entfaltung der holden kleinen Wesen, der erste Blick, das erste Lächeln, der erste Schritt, welche Wonnen sind sie für die Herzen der Eltern! Sie sind die entzückenden Etappen der frühen Kindheit, welche die Eltern beobachten, ungeduldig erwarten, mit Ausrufen des Triumphes begrüßen, wie einen immer neuen Sieg, einen immer neuen Schritt in das Dasein. Das Kind ist gewachsen, das Kind wird ein Mensch. Dann kommt der erste Zahn, dessen feine Spitze das rosige Zahnfleisch durchbohrt; das erste gelallte Wort, das »Mama«, das »Papa«, welches zu verstehen man sehr viel guten Willen entwickelt, solange es noch nicht mehr ist als ein unartikuliertes Stammeln, ein Schnurren wie von einer kleinen Katze, das Zwitschern eines kleinen Vogels. Das Leben vollendet sein Werk, und Vater und Mutter stehen immer wieder voll Staunen und Rührung vor diesem Aufblühen ihres Fleisches und ihrer Seele.
»Warte,« sagte Marianne, »er wird wieder zu mir kommen. Gervais! Gervais!«
Und das Kind kam nach einigem Zögern und nach einem vergeblichen Versuche, machte vier Schritte zurück, die Arme ausgebreitet und sie auf und ab bewegend wie eine Balancierstange.
»Gervais! Gervais!« rief nun Mathieu wieder.
Wieder kam das Kind zu ihm, und zehnmal mußte er die Reise unter Jubelrufen und Gelächter machen; so herzlich und drollig fanden ihn alle, zum Totlachen.
Als jedoch die vier älteren in ihrer Freude und ihrem Übermut allzu unsanft mit dem Kleinen umsprangen, nahm Marianne ihn ihnen weg. Und wieder einmal gab sie ihm, im Grase sitzend, an dieser Stelle die Brust, indem sie scherzend sagte, er habe wohl diese Belohnung verdient, obgleich seine Mahlzeitstunde noch nicht gekommen war. Im übrigen war er stets bereit, er vergrub sein dickes Gesicht mit gieriger Hast, und man hörte nichts mehr als das leise Rieseln der Milch, die abermals anfing durch die Adern der Welt zu fließen, um die Ernte der Zukunft zu nähren.
Da erfolgte eine Begegnung. Am Felde vorbei zog sich ein in ziemlich schlechtem Zustande befindlicher Fahrweg, der zu einem benachbarten Dorfe führte. Diesem entlang holperte nun ein Karren, auf welchem ein Bauer saß, dessen Aufmerksamkeit der Anblick der neu kultivierten Felder in solchem Maße anzog, daß er sein Pferd auf einen Schotterhaufen hätte hinaufgehen lassen, wenn die neben ihm sitzende Frau nicht in die Zügel gegriffen hätte. Das Pferd blieb stehen, und der Mann rief spöttisch:
»Das ist also Ihr Werk, Monsieur Froment?«
Mathieu und Marianne erkannten die Lepailleur, die Müllersleute. Sie wußten recht gut, mit welchem Spotte man in Janville ihren unsinnigen Versuch verfolgte, auf den Sümpfen des Plateaus Getreide zu pflanzen. Lepailleur besonders tat es allen zuvor in Hohn auf diesen Pariser, der ein Herr war, eine gute Anstellung hatte, und so unglaublich dumm war, Bauer zu werden, seine paar Groschen dieser Hexe von Erde in den Rachen zu werfen, die ihn und seine Kinder samt seinen paar Groschen verschlingen würde, ohne ihm auch nur genug Mehl für alle zu liefern. Der Anblick dieses Feldes machte ihn starr. Er war seit langem hier nicht
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