Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
bloßfüßig, im Hemd hingegangen. Und was habe ich gesehen, was habe ich gesehen! … Oh, ich bin zu unglücklich, ich will ins Kloster, ich will ins Kloster, jetzt gleich!«
    Sie fiel ins Bett zurück, sie zog die Decke ganz herauf, wie um darin zu verschwinden, sie drehte sich gegen die Wand, wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören. Und als die krampfhaften Schauer, die ihren Körper noch durchliefen, aufgehört hatten, lag sie wie tot.
    Unter dem Schlage dieser öffentlichen Enthüllung, die aus solchem Munde kam, war Séguin ein Blutstrom in die Augen gestiegen, ein Wiederaufschäumen jener brutalen Eifersucht, die ihm die Sucht einflößte, seine Frau zu erwürgen; und schon hatte er, Santerre, der totenbleich dastand, unberücksichtigt lassend, sich gegen Valentine gewendet, mit so drohendem Ausdrucke, daß sowohl Mathieu als der Doktor sich darauf vorbereiteten, einzugreifen. Aber fast gleich darauf sahen diese, wie er sich beherrschte, wie er den ironischen Zug um den Mund wiederfand, als sein Blick abermals auf Nora fiel, die, ein wenig blaß, am Fußende des Bettes stand, erstaunt, daß das Kind gewagt hatte, die Sache zu erzählen, im übrigen aber in stolzer Haltung und trotzig. Einzig Valentine wagte es, sich zu empören, ihre Entrüstung in einem Aufwallen von Stolz und Selbstbewußtsein hinauszurufen, in welchem sich das Blut der Baugelade, so entartet es auch sein mochte, offenbarte.
    Sie ging auf die Erzieherin los und sagte ihr ins Gesicht: »Das ist gemein, was Sie da getan haben, Mademoiselle. Die letzte Dirne im letzten Freudenhause wäre nicht auf eine solche Schändlichkeit verfallen, in so dummer und frecher Weise die Kindheit zu beschmutzen, alle Achtung, alle Liebe zwischen einer Mutter und ihrer Tochter zu zerstören. Sie sind entweder krank oder die niedrigste Metze. Gehen Sie, ich jage Sie fort!«
    Nun erst ließ sich Séguin, der bis jetzt den Mund nicht geöffnet hatte, herbei, einzugreifen, betätigte endlich seinen Herrenwillen. Er sagte in seiner kalten, lächelnden Weise: »Verzeihe, meine Liebe, ich will nicht, daß Nora geht. Sie wird bleiben. Wir werden wahrlich nicht das Haus auf den Kopf stellen, Gewohnheiten aufgeben, bei denen wir uns fehr wohl befinden, so oft diese verdrehte Lucie bei Nacht böse Träume hat. Geben Sie ihr ein Purgativ, Doktor, lassen Sie ihr eine ordentliche Douche verabreichen. Und vor allem keine Visionen, keine Nachtwandlergeschichten mehr, oder ich werde böse.«
    Als Mathieu sich mit dem Arzt wieder auf der Straße befand, nachdem dieser sich begnügt hatte, eine beruhigende Arznei zu verschreiben, tauschten sie einen langen, schweigenden Händedruck. Dann sagte Boutan, ehe er in seinen Wagen stieg, ruhig: »Wollen Sie mehr? Ist das nun der Zusammenbruch, den ich Ihnen eben vorhersagte? Eine Gesellschaft, die im Sterben liegt, infolge ihres Hasses gegen das normale und gesunde Leben! Die Vernichtung auf allen Seiten, das Vermögen vermindert und täglich mehr verschleudert, die Familie beschränkt, beschmutzt, zerstört? Die ärgsten Ausschweifungen beschleunigen die vollkommene Zersetzung, mystischhysterische Mädchen von zwölf Jahren haben einen Abscheu gegen die Fruchtbarkeit gefaßt, verlangen nach dem lebenden Tode des Klosters! … Ach ja, wir sind auf dem besten Wege, diese Unglücklichen wollen tatsächlich das Ende der Welt!«
    In Chantebled fuhren Mathieu und Marianne fort, zu arbeiten, zu schaffen, zu zeugen. Und während der zwei Jahre, die hingingen, waren sie abermals siegreich in dem ewigen Kampfe des Lebens gegen den Tod, durch das fortgesetzte Wachstum der Familie und der fruchtbaren Erde, das der Inhalt ihres Daseins war, ihre Freude und ihre Kraft. Die Begierde fuhr in Flammenstürmen hin, die göttliche Begierde machte sie fruchtbar, gab ihnen Kraft zu lieben, gut zu sein, gesund zu sein; und ihre Energie tat das übrige, ihre Tatfreudigkeit, die tapfere Beharrlichkeit in der nützlichen Arbeit, die die Welt aufbaut und in Ordnung hält. Aber während dieser zwei Jahre ward ihnen der Sieg nicht ohne schweren Kampf. Je mehr der Besitz anwuchs, desto bedeutendere Geldsummen setzte er in Bewegung, deren Verwaltung immer mehr Mühe verursachte. Die ersten Schulden waren indessen bereits bezahlt, und sie konnten von da ab das kostspielige System der Beteiligung und der aus den Gewinnen zurückzuzahlenden Vorschüsse aufgeben, zu welchem sie sich anfangs hatten verstehen müssen. Es gab nun nur noch ein Haupt, einen Patriarchen,

Weitere Kostenlose Bücher