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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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rührte kein Glied, der leichte Atem ihrer zarten Brust bewegte nicht einmal die Decke; und einige Minuten lang hatte sie jede Antwort verweigert, mit starrem Gesichte daliegend.
    »Sind Sie krank, liebes Kind? Ihre Mama sagt mir, daß Sie heute früh nicht aufstehen wollten. Was tut Ihnen weh?«
    Sie blieb starr, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung.
    »Sehen Sie einmal, es wäre sehr häßlich von Ihnen, Ihre Eltern so besorgt zu machen, und sich so eigensinnig dagegen zu sträuben, daß ich Ihnen helfe. Seien Sie brav und sagen Sie mir, was Ihnen fehlt. Haben Sie Leibschmerzen?«
    Sie blieb starr, ohne die zusammengepreßten Lippen zu öffnen, ohne einen Finger zu rühren.
    »Ich habe Sie wirklich für vernünftiger gehalten. Sie machen uns allen vielen Kummer. Ich muß aber doch wissen, was Ihnen fehlt, wenn ich Ihnen helfen soll.«
    Als er jedoch Miene machte, eine ihrer Hände zu erfassen und frei zu machen, wurde sie von einem solchen Schauer erfaßt und zog die Decke so krampfhaft an ihren Hals, daß er davon abstehen mußte, ihr den Puls zu fühlen, da er keine Gewalt anwenden wollte.
    Valentine, die schweigend gewartet hatte, wurde böse. »Wahrhaftig, Lucie, du mißbrauchst unsre Geduld; dies ist schon unsinnig, und ich werde deinen Vater rufen müssen, daß er dich straft. Seit heute früh klammerst du dich ans Bett, du willst mir nicht einmal sagen, was dir geschehen ist. Sprich doch wenigstens, erkläre uns, was du hast, damit wir uns danach richten können. Hast du dich über irgendwen zu beklagen? Was hat man dir gefügt, was hat man dir getan?«
    Da jedoch Lucie in ihre Todesstarrheit zurückverfallen war, ließ die Mutter auf den Rat des Arztes Nora rufen, damit er selbst sie ausfragen könne. Als das große blonde Mädchen erschien, glaubte er bei dem Kinde denselben Schauer zu bemerken, wie in dem Augenblicke, da er sie hatte berühren wollen, dasselbe Verlangen, sich zu verkriechen, ganz zu verschwinden.
    Am Fuße des Bettes stehend, antwortete Nora auf die an sie gestellten Fragen mit ihrem ruhigen Lächeln, mit der gewissenlosen Unverschämtheit, die stets aus den schönen Augen dieser Prachterscheinung lachte.
    »Ich weiß gar nichts, Monsieur. Selbstverständlich bringe nicht ich die Kinder zu Bett. Gestern abend schien sich Mademoiselle Lucie ganz wohl zu befinden. Sie hat sich jedenfalls um die gewöhnliche Stunde zu Bett begeben, nachdem sie noch vorher ihre Mutter, die einen Besuch hatte, im kleinen Salon umarmt hatte. Ich bin dann wie gewöhnlich nur auf einen Augenblick hier hereingekommen, um ihr gute Nacht zu wünschen. Was wollen Sie, daß ich Ihnen sage? Ich weiß sonst nichts.«
    Während sie sprach, wandte sie ihre großen Augen nicht von dem Kinde ab; sie war übrigens vollkommen gelassen und sprach herausfordernd und wie in der Sicherheit, daß sie nichts sagen würde, daß sie nichts zu sagen habe. Eine innere Heiterkeit, wie in Erinnerung an irgendeine drollige Begebenheit, stieg sogar zu ihren Lippen empor und enthüllte ihre weißen Raubtierzähne. Das war zu viel für das Kind, es brach in konvulsivisches Schluchzen aus, als der Blick seiner blassen blauen Augen, der bisher starr an der Decke gehaftet hatte, auf diesen andern, spöttischen brennenden Blick traf, der auf ihr ruhte.
    »Oh, laßt mich in Ruhe, sprecht nicht mit mir, seht mich nicht an! Ich will ins Kloster gehn, ich will ins Kloster gehn!«
    Das war der Schrei, den das frühreife, Kind gebliebene Weib in ihr, überwältigt von Abscheu gegen sein Geschlecht, schon am Morgen ausgestoßen hatte. Sie wiederholte ihn nun mit erneuerter Heftigkeit, unablässig, immer wieder. Und in ihrer Beharrlichkeit, nicht aufstehen zu wollen, nicht mehr zuzugeben, daß man die Haut ihrer Hände sehe, barg sich der Wunsch, sich mit ihrem ganzen Körper zu verkriechen, für die ganze Welt abzusterben, um dem verhaßten physischen Gefühle zu entrinnen. Sie hätte wollen, daß man die Vorhänge dicht schließe, um nicht mehr vom Licht des Tages berührt zu werden. Sie hätte für immer allein sein wollen, ohne die Wärme eines andern Wesens neben sich, in der Oede einer Gruft, um dem Ekel zu entfliehen, zu leben, um sich, in sich Leben zu fühlen.
    »Ich will ins Kloster gehen! Ich will ins Kloster gehen!«
    Nun ließ Valentine, die glaubte, daß sie ganz von Sinnen komme, Séguin holen. Und inzwischen fuhr sie fort, ihr zu predigen, sehr mütterlich, sehr würdevoll.
    »Wahrhaftig, du kannst einen zur Verzweiflung bringen. In deinem

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