Fruchtbarkeit - 1
zwingen mich, Ihnen alles zu sagen. Ach, liebe Freundin, ich lasse mich seit drei Jahren behandeln; seit sechs Monaten bin ich in den Händen einer Hebamme in der Rue Miromesnil, und wenn Sie mich so häufig bei sich sehen, so kommt das davon, weil ich sie an gewissen Tagen besuche. Immer schöne Versprechungen, aber kein Erfolg… Heute war sie aufrichtiger, sie schien die Hoffnung aufzugeben, und deshalb habe ich meine Tränen nicht zurückhalten können. Verzeihen Sie mir.«
Sie faltete die Hände und rief in leidenschaftlicher Erregung: »Mein Gott, mein Gott, zu denken, daß es Frauen gibt, die Kinder haben, so viel sie wollen, wie zum Beispiel Madame Froment, Ihre Cousine! Wie hat man sie geneckt, wie hat man sie getadelt, ich als erste! Ach, ich habe mich nun bei ihr entschuldigt! Ich finde es nachgerade sehr schön, sehr groß, dieses fortgesetzte, ruhige, sieghafte Gebären. Und wie ich sie beneide, ach, daß mich manchmal die Lust anwandelt, ihr eines Abends eines davon zu stehlen, von diesen Kindern, die ihr so natürlich entsprießen, wie die reifen Früchte einem kräftigen Baume! … Mein Gott, mein Gott, ist es vielleicht, weil wir zu lange gewartet haben? Wäre unser Fehler der, daß wir den Stamm haben verdorren lassen, indem wir ihn hinderten, auszuschlagen, als es an der Zeit war?«
Ernst geworden, hatte Constance den Kopf geschüttelt, im Namen ihrer Cousine Marianne. Sie mißbilligte noch immer ihre aufeinanderfolgenden, wirklich unerlaubten Schwangerschaften, die sie sicherlich noch eines Tages büßen würde.
»Nein, nein, meine Liebe, verfallen Sie nicht in die entgegengesetzte Übertreibung. Ein Kind, gewiß, es gibt nicht eine Frau, nicht eine Mutter, die nicht das gebieterische Bedürfnis danach fühlte. Aber diese ganze Schar, diese Herde, nein, nein, das ist eine Schande, ein Wahnsinn! Allerdings, nun, da Marianne reich ist, kann sie entgegnen, daß es ihr erlaubt ist, leichtsinnig zu sein. Ich gebe zu, daß darin eine Entschuldigung liegt. Trotzdem beharre ich bei meiner Ansicht, und Sie werden sehen, daß sie eines Tages dafür schrecklich gestraft werden wird.«
Gleichwohl konnte Constance diesen Abend, als Madame Angelin sie verlassen hatte, die Erinnerung an deren Mitteilungen nicht los werden und sich eines bedrückenden Gefühls nicht erwehren. Sie war betroffen von der Erfahrung, daß diese Frau, die mit ihr gleichen Alters war, nicht ein Kind bekommen konnte, wenn sie eines wollte. Und woher kam die leichte Kälte, die sie dabei durch ihre Adern hatte rinnen fühlen? Von welcher unnennbaren Ahnung, von welcher Furcht war das innerste Empfinden ihres Herzens dabei überhaucht worden? Das Unbehagen war übrigens ganz nebelhaft, kaum bewußt, nicht einmal ein Vorgefühl, nichts als der leichte instinktive Schauer ihrer gefährdeten, vielleicht verlorenen Fruchtbarkeit. Sie hätte kaum darauf geachtet, wenn das Bedauern, keinen zweiten Sohn zu haben, sie nicht schon schmerzhaft durchzuckt hätte, an dem Tage, da der beklagenswerte Morange, zerschmettert von dem tragischen Tode seiner Tochter, allein zurückgeblieben war. Seitdem er so vollkommen verlassen war, lebte der Ärmste in einer Art von Betäubung, in dem Stumpfsinn eines gewissenhaften, peinlich genauen Angestellten beschränkten Geistes, der mechanisch seine Arbeit verrichtet. Er hatte seine Tätigkeit als Buchhalter wieder aufgenommen, war sehr sanft und höflich, sprach kaum ein Wort, ein für immer vernichteter Mensch, der bis ans Ende seiner Tage auf seinem Posten in der Fabrik bleiben würde, wo sein Gehalt auf achttausend Franken gestiegen war. Man wußte nicht recht, was er mit dieser für einen Menschen von seiner regelmäßigen, beschränkten Lebensart bedeutenden Summe anfange, denn er hatte so gut wie keine Ausgaben, keine bekannte Liebhaberei, außer seiner Wohnung, die nun viel zu groß für ihn war, die er aber eigensinnig beibehielt, um sich darin in eifersüchtiger Menschenscheu zu verriegeln. Sein ungeheurer, vernichtender Schmerz hatte Constance derart überwältigt, daß sie weich wurde, daß sie mit ihm schluchzte, sie, deren Tränen so schwer flossen. Und ein unbewußter Rückschluß auf sich selbst, der Gedanke an das zweite Kind, das sie hätte haben können, war ihr davon geblieben, kehrte in trüben Stunden wieder, wo dann aus dem Grunde ihres aufgerüttelten, beunruhigten Muttergefühles dumpfe Befürchtungen, schneidende Schreckensahnungen aufstiegen, die sie nie zuvor gekannt hatte.
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