Fruchtbarkeit - 1
sie für ein großes, in der Entwicklung aufgehaltenes Kind halten können, obgleich sie nie einem Kinde begegnete, ohne von der Lust erfaßt zu werden, es aufzunehmen und mit Liebkosungen zu bedecken. Sehr geschickt mit ihren schwachen Fingern, brachte sie es fertig, zwei Franken täglich mit ihren kleinen Schachteln zu verdienen. Und da sie sich bei ihren Eltern sehr unglücklich fühlte, von der Roheit ihrer Umgebung jetzt in ihrem zarten Wesen verwundet, alle Abend ihrer vierzig Sous beraubt, war es ihre höchste Sehnsucht, allein zu wohnen, sich das wenige Geld zu verschaffen, das es ihr ermöglichen würde, ein Zimmer zu mieten, wo sie ruhig leben könnte, glücklich, sich jeder rauhen Berührung entziehen zu können. Und Mathieu hatte die Absicht, ihr eine frohe Überraschung zu bereiten, indem er ihr eines Tages dieses wenige Geld gab, dessen sie bedurfte.
»Wohin gehen Sie denn so schnell?« fragte er sie in heiterem Tone. Sie war ein wenig betreten von der Begegnung und gab verlegen zuerst eine ausweichende Antwort.
«Ich gehe da in die Rue Miromesnil, einen Besuch zu machen.«
Dann, da sie fühlte, wie gut und hilfsbereit er war, erzählte sie ihm alsbald die Wahrheit. Diese arme Norine, ihre Schwester, war ein drittes Mal bei Madame Bourdieu niedergekommen; wieder eine traurige Geschichte, diese Schwangerschaft, die in ein lustiges Leben fiel, während sie ein Verhältnis mit einem feinen Herrn unterhielt, der ihr ein schön möbliertes Zimmer eingerichtet hatte; und da der feine Herr alsbald verduftet war, hatte sie sich gezwungen gesehen, ihre Siebensachen zu verkaufen, um zu leben, und war glücklich gewesen, gerade noch zweihundert Franken zu erübrigen, um wieder bei Madame Bourdieu niederkommen zu können, denn sie hatte Angst vor dem Spital. Aber wenn sie nun in den nächsten Tagen das Haus verließ, würde sie sich wieder auf der Straße sehen. Mit einunddreißig Jahren war das kein Vergnügen mehr.
»Sie hat sich nie schlecht gegen mich gezeigt,« fuhr Cécile fort. »Ich habe sie besucht, denn sie tut mir schrecklich leid. Heute bringe ich ihr etwas Schokolade, Und wenn Sie ihren kleinen Knaben sehen würden, das ist ein Engel!«
Ihre Augen glänzten, ihr blasses, mageres Gesichtchen wurde von einem liebevollen Lächeln erhellt. Es war wunderbar, wie dieser ehemalige kleine Nichtsnutz, dieses vernachlässigte Gassenkind von Grenelle, unter dem brutalen Messer ein so feinempfindliches Geschöpf geworden war, eine deklassierte, Kind gebliebene Mutter, voll bebender Liebessehnsucht und so unendlich zart, daß ein zu starkes Geräusch sie zu zerbrechen drohte wie Glas. Seit die Funktion vernichtet war, schien der Mutterinstinkt bei ihr zur heißen Leidenschaft gewachsen zu sein.
»Und wie traurig, daß sie sich durchaus seiner entledigen will wie der beiden andern! Diesmal hat er jedoch so stark geschrien, daß sie ihm die Brust gereicht hat. Aber es ist nur einstweilen, sie sagt, sie will ihn nicht neben sich Hungers sterben sehen. Das dreht mir das Herz um, so ein Greuel, daß man ein Kind haben kann, ohne es zu behalten. Da habe ich es mir nun so schön vorgestellt, wie sich die Sache einrichten ließe. Sie wissen, daß ich von weinen Eltern fort will. Ich würde also ein Zimmer mieten, würde meine Schwester mit ihrem Kinde zu mir nehmen, würde ihr zeigen, wie man die Schachteln schneidet und klebt, und wir würden alle drei glücklich und zufrieden miteinander leben. Was für ein Vergnügen wäre es, zu arbeiten, wenn ich frei wäre und nicht mehr alle die Sachen mitansehen müßte, die mir schrecklich sind!«
»Und sie wollte nicht?« fragte Mathieu.
»Sie hat mir gesagt, ich wäre verrückt, und sie hat nicht so unrecht, da ich nicht einmal einen Sou habe, um das Zimmer zu mieten. Ach, wenn Sie wüßten, wie mir das Herz schwer ist!«
Mathieu verbarg seine Bewegung und sagte in seinem ruhigen Tone:
»Ein Zimmer zu mieten, das ist nicht schwer. Sie würden schon einen Freund finden, der Ihnen hilft. Aber ich zweifle sehr, daß Sie Ihre Schwester dazu bringen werden, ihr Kind zu behalten, denn ich glaube ihre Ansichten über diesen Punkt zu kennen. Es bedürfte eines Wunders.«
Cécile sah mit plötzlichem Verständnis zu ihm auf. Der Freund, das war er! Lieber Gott, sollte ihr Traum in Erfüllung gehen? Und sie faßte sich ein Herz, um zu sagen:
»Monsieur, Sie waren immer so gütig gegen uns, daß ich Sie um eine große Gnade zu bitten wage. Und das ist, daß Sie jetzt mit mir zu
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