Fruchtbarkeit - 1
wartete auf Antwort. Aber Mathieu, betroffen, sie so gut unterrichtet zu sehen, ungewiß, warum sie sich nach so vielen Jahren in dieser unglücklichen Sache an ihn wende, machte nur eine Gebärde, in welcher seine Überraschung und Bestürzung sich verrieten.
»Oh,« fuhr sie fort, »ich mache Ihnen keinen Vorwurf, ich bin sogar überzeugt, daß ihre Rolle hierin eine freundschaftliche und selbst liebevolle für mich gewesen ist, da Sie wohl fürchteten, daß ich von irgendeinem Skandal betroffen werden könnte. Und im übrigen können Sie sich wohl denken, daß ich heute keinerlei Anklagen wegen einer so alten Untreue erheben will. Mein einziger Wunsch ist, mich zu unterrichten. Lange habe ich den Denunziationen nicht nachgehen wollen, durch die ich das Geschehene erfuhr. Heute ist die Sache wieder in mir erwacht, läßt mir keine Ruhe, und es ist nur natürlich, daß ich mich an Sie wende, denn ich habe gegen meinen Mann nie ein Wort davon laut werden lassen, ich würde es für unsern Frieden sehr verderblich glauben, wenn ich ihm ein Geständnis und alle Details des nicht wieder gutzumachenden Fehltritts entreißen wollte. Und was mich schließlich zur Entscheidung gebracht hat, das ist die Erinnerung an unsre Begegnung an dem Tage, da ich Madame Angelin zu der Hebamme begleitete und Sie dort mit diesem Mädchen gesehen habe, die wieder ein Kind auf dem Arme hatte. Sie haben sie
426 also wieder gesehen. Sie müssen wissen, was sie tut, ob ihr erstes Kind noch lebt, und in dem Falle, wo es ist, und was es ist.«
Er antwortete noch immer nicht. Das Fieber, das er allmählich sich in ihr entzünden sah, machte ihn behutsam, ließ ihn nach den Beweggründen dieses seltsamen Ansinnens der sonst so stolzen und zurückhaltenden Frau suchen. Was ging da vor? Warum bemühte sie sich, ihn zu Mitteilungen zu bewegen, deren Folgen er nicht voraussehen konnte? Und während sie ihn unverwandt anblickte, ihn mit ihren gierigen Augen zu ergründen trachtete, suchte er nach freundlichen, ausweichenden Worten.
»Sie setzen mich sehr in Verlegenheit. Und übrigens weiß ich nichts, was für Sie von Interesse sein könnte. Was sollte es Ihrem Manne, was sollte es gar Ihnen nützen, diese ferne Vergangenheit aufzurühren? Glauben Sie mir, vergessen Sie, was man Ihnen gesagt hat, Sie sind ja eine so kluge und überlegende Frau…«
Sie unterbrach ihn, erfaßte seine Hände und hielt sie mit warmem, bebendem Griff umschlossen. Nie hatte sie sonst eine so leidenschaftlich selbstvergessene Gebärde gekannt.
»Ich versichere Ihnen nochmals, daß niemand etwas von mir zu fürchten hat, weder mein Mann noch dieses Mädchen, noch das Kind. Begreifen Sie doch, daß mich nur der Gedanke daran quält, daß ich darunter leide, daß ich nichts weiß – ja, es scheint mir, daß ich ruhiger sein werde, wenn ich alles weiß. Um meinetwillen nur frage ich Sie aus, um meiner Ruhe willen… Ach, wenn Sie wüßten, wenn Sie wüßten!«
Er fing an, manches zu erraten, sie hatte nicht nötig, ihm alles zu sagen. Schon die Wiederannäherung der Gatten hatte ihn ahnen lassen, wie die Sachen standen, er konnte sich vorstellen, von welch heißem Wunsche sie nach dem Tode Maurices erfüllt waren, ihn zu ersetzen, welche Anstrengungen sie machten, um noch einen Sohn zu haben. Und seit einem Jahre, da der Sohn nicht kam, hatte er ihre Enttäuschung beobachten können, ihren zunehmenden Kummer, endlich den Zorn, die Bitterkeit und den Hader, die aus ihrer Unfruchtbarkeit erwuchsen. Und jetzt war er bei der gealterten Gattin Zeuge, wie sie von diesem seltsamen Eifersuchtsanfall ergriffen wurde, wie der Gedanke an dieses Kind sie verfolgte, das sie von ihrem Gatten jetzt nicht haben konnte, und das dieses Mädchen einst von ihm gehabt hatte. Das Weib zählte nicht mehr, sie wußte, daß dieses Mädchen ebenso schön, jugendfrisch, blühenden Körpers gewesen, wie sie selbst gelb, vertrocknet und vorzeitig erkalteten Blutes; und die verletzte Liebe fand kein Wort der Empörung. Einzig die Mutter litt in ihr, nur dem Kinde galt die Eifersucht ihres gequälten Herzens. Sie konnte es nicht aus ihrer Erinnerung verbannen, es kehrte immer wieder wie ein Hohn, wie eine Beleidigung, so oft sie sich der Nutzlosigkeit ihres Harrens, des Zusammenbruchs einer neuen Hoffnung bewußt wurde. Und von Monat zu Monat wurde die Enttäuschung bitterer, dachte sie in steigender Erregung an das Kind der andern, sie verlangte danach, sie verzehrte sich in Fragen, wo es lebe, was
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