Fruchtbarkeit - 1
soweit gehen, ihn aufzunehmen, trotz der Schmach, trotz der Empörung ihres Frauengefühles, ihres wohlanständigen Abscheus gegen die Bastardschaft, die aus niedriger Ausschweifung hervorgegangen war? Gleichwohl, wenn er nicht von ihr war, so war er doch vom Blut ihres Mannes. Und vielleicht hob sie der Gedanke an das zu rettende Reich, an die dem Erben zufallen sollende Fabrik bereits über ihre Vorurteile und ihren Widerwillen hinaus. Aber alles dies wogte noch unklar in ihr durcheinander, ihr ganzes Wesen war noch erfüllt von dem qualvollen Schmerz der Mutter, die kein Kind mehr hat, die nie mehr eines haben wird, und die dahin gelangt ist, das Kind der andern wiederfinden zu wollen, von dem tollen, unklaren Gedanken beherrscht, es ein wenig zu dem ihrigen zu machen. »Soll ich Beauchêne von meinen Nachforschungen unterrichten?« fragte Mathieu.
»Wie Sie wollen. Ja doch, es wird besser sein.«
An diesem Abend noch brach Constance schonungslos mit ihrem Gatten. Sie jagte ihn aus dem Ehebette, sie jagte ihn aus dem Schlafzimmer hinaus. Da sie sah, daß er verloren war, unfähig, die Fabrik ferner zu leiten, da sie nun von ihm kein Kind mehr zu erwarten hatte, konnte sie ihm endlich alle ihre Verachtung, all den Ekel ins Gesicht schleudern, den seine Umarmung ihr seit Jahren eingeflößt hatte. Der Gedanke, von diesem Manne nicht mehr berührt zu werden, war ihr ein so erlösender, daß sie eine Stunde rächenden Genusses hatte, als sie ihm ihren ganzen Abscheu ausdrücken konnte, ihm sagen konnte, wie widerlich er ihr stets mit dem ihm anhaftenden Duft seiner Ausschweifungen gewesen war. Und er wurde eingeschüchtert, er ging fort, um anderwärts zu schlafen, so groß und furchtbar erschien sie ihm mit ihrer kleinen mageren Gestalt, als sie ihm zurief, daß sie ihn nicht mehr zurückhalte, daß er in seinen Morast zurückkehren, dort bleiben, darin ersticken könne. – Die logischen Folgen entwickelten sich, die unvermeidliche Zersetzung nahm ihren Lauf. Zuerst die durch egoistischen Geldstolz notwendig werdenden Unterschlagungen, das geduldete, dem schlecht befriedigten Appetit des Mannes gestattete kleine Laster, dann der allmähliche Niedergang des intelligenten Kopfes, des Arbeiters, der dem Fluch des übermäßigen Genusses erlag, endlich, nach dem Tod des einzigen Sohnes, die Zerreißung der Ehe, die Mutter unfruchtbar geworden, der Vater von ihr hinausgejagt, dem vollständigen Verfalle zutreibend. Und das Leben ging weiter.
2
Als Mathieu seine Nachforschungen begann, war sein erster Gedanke, sich, noch ehe er mit Beauchêne gesprochen hatte, unmittelbar an das Findelhaus zu wenden. Wenn das Kind tot war, wie er vermutete, so würde das der Sache ein Ende machen. Er erinnerte sich glücklicherweise der kleinsten Einzelheiten, des Doppelvornamens Alexandre Honoré, des genauen Datums der Uebergabe, aller Vorgänge des Tages, an welchem er die Couteau im Wagen hingebracht hatte. Er wurde vom Direktor des Hauses empfangen, und nachdem er seinen Namen genannt und den Anlaß seines Kommens erklärt hatte, erhielt er zu seiner Ueberraschung die unverzügliche und präzise Auskunft: Alexandre Honoré wurde zu einer Frau Loiseau in Rougemont in Pflege gegeben, blieb dort bis zu seinem zwölften Jahre, und ist seit drei Jahren in der Lehre bei einem Wagner Namens Montoir in SaintPierre, einem benachbarten Dorfe. Das Kind lebte, war fünfzehn Jahre alt – das war alles, er konnte keine andre Auskunft erhalten, weder über seine körperliche noch über seine seelische Beschaffenheit.
Auf der Straße erinnerte sich Mathieu, der ein wenig betäubt war, daß ihm die Couteau allerdings gesagt hatte, das Kind würde, wie sie von einer Wärterin erfahren habe, nach Rougemont gesendet werden. Aber er hatte sich vorgestellt, daß es dort gestorben sei, von dem Todeswind fortgetragen, der die Neugeborenen dezimiert, daß es auf dem stillen Friedhofe von Rougemont liege, der von kleinen Parisern bedeckt ist. Es nun wiederzufinden, dem Gemetzel entronnen, war eine Ueberraschung des Schicksals, die ihm das Herz beklemmte, wie in ungewisser Furcht vor kommendem Unglück. Aber da das Kind lebte, und er nun wußte, wo er es finden könne, empfand er die Notwendigkeit, Beauchêne zu benachrichtigen, ehe er weiterforschte. Die Sache wurde ernst, er glaubte ohne die Zustimmung des Vaters nichts weiter unternehmen zu sollen.
Ehe er daher nach Chantebled zurückkehrte, begab sich Mathieu nach der Fabrik, wo er das
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