Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
hatte! Die ungeheure Ironie, die darin lag, diese rächende Vergeltung der betrogenen Natur, der Gedanke, daß sie die Wollust gemordet hatte, indem sie sich ihre Weiblichkeit nehmen ließ, versetzten sie in rasende Wut. Sie, großer Gott! Sie, die vorzeitig Sinnliche, die sich mit fünfzehn Jahren hingegeben hatte! Sie, deren Heirat nichts als eine Ausschweifung gewesen! Sie, deren Zügellosigkeit als Witwe so viele Liebhaber verbraucht hatte, bis zu Vorübergehenden auf der Straße! Sie, die unersättliche Genußsüchtige, ohne Gewissen und ohne Scham, mußte so enden, in dem vollkommenen Versagen der Lust! In dem Sturm, der sie ausgedörrt hatte, schien sie eine mächtige Stimme zu hören: »Kein Kind mehr, aber auch keine Sinneslust mehr!« Und sie beweinte diese verlorene Freude, eine ewig Hungrige, eine verschmachtende Herumirrende, hier in diesem nun verstaubten und durchkälteten Salon, in dessen warmem Düster, in dessen berauschenden Düften sie ehemals so viele wollusttrunkene Stunden genossen hatte.
    Sie blieb vor Mathieu stehen. »Oh, ich werde noch wahnsinnig darüber!… Man sagt, wir seien schon mehr als zwanzigtausend Kastrierte in Paris. Das müßte eine hübsche Gesellschaft geben. Ich möchte sie alle kennen, ich möchte sie zu Gaude führen; das gäbe eine interessante Konversation, wie?«
    Sie ließ sich wieder auf das Sofa an seiner Seite nieder. »Oh, dieser Gaude! Habe ich Ihnen gesagt, daß Constance mich gebeten hat, sie zu ihm zu führen, in der Hoffnung, daß er ihr zu einem Kinde verhelfen werde? Diese arme Constance, ich glaube, sie ist ebenso zerrüttet wie ich, so wütend verbeißt sie sich in das Verlangen, einen Ersatz für ihren Maurice zu bekommen. Sie hat mich zu ihrer Vertrauten gemacht, sie erzählt mir unglaubliche Dinge, nie habe ich, selbst in meinen tollsten Stunden, Paris sinnloser durchlaufen. Diese Begierde, Mutter zu werden, muß wirklich ebenso heftig, ebenso zerstörend sein als die andre, die große Begierde, die meinige! Und doch, ich leide doch noch mehr. Freilich, sie kämpft mit Verzweiflung, sie versucht alles. Aber wenn ich Ihnen erzählte, zu welch entsetzlichen Mitteln ich gegriffen habe auf der Suche nach dem verlorenen Genuß! Ich habe das Gemeinste versucht, ich bin bis zu den abscheulichsten Umarmungen hinabgestiegen. Und nichts, und immer nichts, die Kälte des Todes, selbst unter der Brutalität!… Ein Kind, sie will ein Kind! Das läßt sich ersetzen, man kann sich einen kleinen Hund halten! Aber dieses gebieterische Verlangen nach dem Genuß! Kann man leben ohne Nahrung? Kann man leben ohne die Glut des Genusses? Ja, ich bin die Gefolterte, die Gekreuzigte, es gibt keine Qual neben der meinigen!«
    Schluchzen erstickte ihre Stimme. Mathieu hatte ihre Hände erfaßt, um sie zu beruhigen, tief erschüttert von diesem Aufschrei der Verzweiflung, wie er ihn nie schmerzvoller, nie so aus tiefstem Herzen heraus gehört hatte. Und er stand erbebend vor diesem verzerrten Antlitz der Begierde, die unfruchtbar sein will und die daran stirbt.
    Sie sprachen noch miteinander, als Sérafine durch einen unerwarteten Besuch in höchstes Erstaunen versetzt wurde. Es war Constance, die endlich ihren Entschluß ausgeführt hatte, zu Gaude zu gehen, und die eben von ihm kam. Nie noch war sie um diese Stunde hierhergekommen. Aber ins Herz getroffen durch das, was der Arzt ihr gesagt hatte, halb von Sinnen, hatte sie sich, auf die Straße getreten, so einsam gefühlt, hatte ein solches Bedürfnis empfunden zu sprechen, sich mitzuteilen, daß sie hierhergelaufen war, ihrer selbst unbewußt, nur von ihrer Leidenschaft beherrscht.
    Kaum in die Tür getreten, fing sie fieberhaft zu sprechen an, ohne sich über die Anwesenheit Mathieus zu wundern, oder sich darum zu kümmern. »Ach, meine Liebe, ich fürchtete schon, Sie nicht zu treffen! Wissen Sie, was er mir gesagt hat, Ihr Doktor Gaude? ›Madame, ich liefere die Kinder nicht auf Bestellung.‹ Und er lachte, und er war stark, und er war schön… Ah, der Abscheuliche!«
    »Ich habe es Ihnen vorausgesagt.« erwiderte Sérafine. »Er hat sich über Sie lustig gemacht, ich habe das erwartet. Das Kind auf Bestellung, freilich nicht, da er sie abbestellt!«
    Constance, deren Beine versagten, hatte sich aufs Sofa gesetzt, auf den Platz, den ihre Schwägerin verlassen hatte. Dann gab sie alle Einzelheiten ihres Besuches bei Gaude, erzählte, wie sie es dennoch durchgesetzt habe, daß er sie untersuche. Und ihre Verzweiflung kam

Weitere Kostenlose Bücher