Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
ihr gegenüber keine List anzuwenden. Das beste war, ihr einfach zu sagen, was er wollte, und dann ihr Schweigen mit Geld zu erkaufen. Nach den ersten Worten begriff sie, um was es sich handelte. Sie erinnerte sich sehr wohl des Kindes Norinens, obgleich sie schon Dutzende von Kindern ins Findelhaus getragen hatte; aber die besonderen Umstände, die gewechselten Worte, die Wagenfahrt waren ihr im Gedächtnisse geblieben. Sie hatte dieses Kind übrigens fünf Tage darauf in Rougemont wiedergefunden, sie erinnerte sich sogar, daß ihre Freundin, die Wärterin, es zu der Loiseau in Pflege gegeben hatte. Aber sie hatte sich nicht weiter darum gekümmert, sie glaubte es tot, mit so vielen andern hinweggerafft. Und als sie von SaintPierre reden hörte, vom Wagner Montoir, von diesem Alexandre Honoré, fünfzehn Jahre alt, der sich dort als Lehrling befinden sollte, war sie überrascht.
    »Oh, Monsieur, Sie müssen sich täuschen. Ich kenne diesen Montoir in SaintPierre sehr gut. Er hat auch ein Findelkind bei sich, in dem Alter, von dem Sie sprechen. Aber der kommt von der Cauchois, er ist ein großer roter Junge namens Richard, den ich einige Tage vor jenem andern mit heimgenommen habe. Ich habe auch die Mutter gekannt und – ja. Sie haben sie ja auch gesehen: die Engländerin, diese Amy, die bei Madame Bourdieu war, ein häufiger Gast des Hauses, die dreimal wiedergekommen ist, wie man mir gesagt hat. Dieser Rotkopf kann unmöglich das Kind Ihrer Norine sein. Alexandre Honoré war braun.«
    »Dann,« sagte Mathieu, »ist noch ein Lehrling bei dem Wagner. Meine Auskunft ist genau, ich habe sie aus amtlicher Quelle.«
    Die Couteau ergab sich sofort, indem sie mit einer Gebärde ihr Nichtwissen ausdrückte.
    »Es ist möglich, es sind vielleicht zwei Lehrlinge bei Montoir. Das Haus ist groß, und da ich seit Jahren nicht in SaintPierre war, so könnte ich nichts behaupten. Was wünschen Sie also von mir, Monsieur?«
    Er setzte ihr in klaren Worten ihre Aufgabe auseinander. Sie solle über das Kind die umfassendsten Erkundigungen einziehen, über seine Gesundheit, seinen Charakter, seine Aufführung, ob der Lehrer mit ihm zufrieden gewesen sei, ob sein Meister mit ihm zufrieden sei, kurz, alles, was von ihm in Erfahrung gebracht werden könne. Aber sie solle die Nachfragen in einer Weise anstellen, daß niemand etwas davon merke, weder das Kind noch die Personen seiner Umgebung. Es solle unbedingtes Geheimnis gewahrt bleiben.
    »Das alles ist nicht schwer, Monsieur. Ich verstehe vollkommen. Sie können sich auf mich verlassen. Ich werde ein wenig Zeit brauchen, und es wird am besten sein, wenn ich Ihnen persönlich das Ergebnis meiner Erkundigungen mitteile, wenn ich das nächste Mal nach Paris komme. Und wenn Sie wollen, so finden Sie mich heute in vierzehn Tagen um zwei Uhr im Bureau Broquette, Rue Roquépine. Ich bin dort wie daheim, und das Haus ist verschwiegen wie das Grab.«
    Als Mathieu einige Tage später bei seinem Sohne Blaise in der Fabrik war, wurde er von Constance bemerkt, die ihn zu sich rief und ihn so eingehend befragte, daß er ihr mitteilen mußte, was er getan hatte, auf welchem Punkte sich die Nachforschungen befanden, mit denen sie ihn betraut hatte. Und als sie erfuhr, daß er am Mittwoch der nächsten Woche mit der Couteau zusammentreffen sollte, sagte sie in ihrem entschlossenem Tone:
    »Holen Sie mich ab. Ich will diese Frau selbst befragen. Ich muß Gewißheit haben.«
    In der Rue Roquépine war das Haus Broquette nach fünfzehn Jahren noch immer dasselbe, mit dem einzigen Unterschiede, daß Madame Broquette gestorben und ihre Tochter Herminie ihre Nachfolgerin geworden war. Zuerst hatte es den Anschein gehabt, daß der plötzliche Verlust dieser so würdevollen blonden Dame, welche die Repräsentantin des Hauses, seine Zierde, sein bürgerlichehrsames Aushängeschild gewesen, ein sehr empfindlicher sein würde. Aber es hatte sich gezeigt, daß Herminie, das mit Romanen vollgepfropfte lange und blutlose Mädchen, die apathisch ihre reizlose Jungfräulichkeit durch dieses von Ammenmilch überfließende Haus trug, auch über ein vornehmes Auftreten verfügte, welches auf die Kunden einen angenehmen Eindruck machte. Schon dreißig Jahre alt, war sie noch unvermählt, ohne Begierde, wie angewidert durch alle diese vollbusigen Mädchen, deren Arme mit weinenden Kindern beladen waren. Im übrigen blieb der Vater, Monsieur Broquette, trotz seiner vollen fünfundsechzig Jahre, die bewegende und

Weitere Kostenlose Bücher