Fruchtbarkeit - 1
Richard, den Sohn der Engländerin, den großen roten Jungen, von dem ich Ihnen bereits erzählte. Auch einer, dem ich nicht über den Weg trauen würde. Aber er scheint wirklich nicht zu wissen, wohin sein Kamerad geflohen ist. Die Gendarmen glauben, daß Alexandre in Paris ist.«
Mathieu dankte ihr seinerseits und drückte ihr eine Fünfzigfrankennote in die Hand, worauf sie sofort stumm, freundlich, unterwürfig wurde, verschwiegen wie das Grab nach ihrem Lieblingsausdrucke. Drei Ammen traten nun ein und packten Wurstwaren aus, während man draußen in der Küche Monsieur Broquette hörte, wie er wütend einer vierten die Hände mit einer Bürste wusch, um sie zu lehren, wie man sich von dem heimischen Schmutz reinige; und Constance beeilte sich, ihrem Gefährten auf die Straße zu folgen, von einem Gefühl des Ekels ergriffen. Aber draußen blieb sie zögernd stehen, ehe sie den Wagen bestieg, nachdenklich, von dem letzten Wort, das sie gehört hatte, verfolgt.
»Sie haben gehört, dieses unglückliche Kind soll in Paris sein.«
»Das ist wahrscheinlich. Alle endigen sie hier.«
Sie schwieg wieder, dachte nach, schien unentschlossen, und sagte endlich mit ein wenig zitternder Stimme:
»Und die Mutter, lieber Freund, Sie wissen, wo sie wohnt. Haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie sich ihrer angenommen haben?«
»Allerdings.«
»Also hören Sie! Und besonders verwundern Sie sich nicht, lieber Freund, beklagen Sie mich lieber, denn ich leide wirklich schrecklich… Mich hat ein Gedanke überkommen, ich bilde mir ein, daß der Knabe, wenn er in Paris ist, vielleicht seine Mutter ausfindig gemacht hat, daß er vielleicht bei ihr ist, oder daß sie wenigstens weiß, wo er sich aufhält. Nein, nein! sagen Sie mir nicht, daß das unmöglich ist. Alles ist möglich.«
Erstaunt und zugleich bewegt, sie, die sonst so ruhige Frau, solchen Einbildungen nachgeben zu sehen, wollte er sie nicht noch in stärkere Erregung versetzen und versprach, sich zu erkundigen. Aber sie stieg noch immer nicht in den Wagen, sie stand, den Blick auf das Straßenpflaster geheftet. Dann erhob sie die Augen und sagte verlegen, bittend, demütig:
»Sie erraten nicht, was ich will? Seien Sie mir nicht böse. Es ist ein Dienst, den ich Ihnen nie vergessen werde. Ich möchte gern ein wenig Ruhe finden, indem ich mir Gewißheit verschaffe. Fahren wir sogleich zu diesem Mädchen. Oh, ich werde nicht hinaufgehen! Sie gehen allein hinauf, und ich werde Sie an der Straßenecke im Wagen erwarten. Vielleicht können Sie etwas in Erfahrung bringen.«
Es war verrückt. Zuerst fühlte er sich versucht, ihr das zu sagen. Aber als er sie ansah, schien sie ihm so unendlich verlassen, von so unsagbaren Qualen gefoltert, daß er ohne ein Wort mit einer Gebärde mitleidiger Gutherzigkeit einwilligte. Der Wagen führte sie fort.
Das große Zimmer, in welchem Norine und Cécilie ihre gemeinsame Häuslichkeit eingerichtet hatten, befand sich in Grenelle, am Ende der Rue de la Fédération, nahe dem Champ de Mars. Sie lebten seit nun bald sechs Jahren dort und hatten zu Anfang viel Kummer und Elend erfahren. Aber das Kind, welches sie zu nähren, zu retten hatten, hatte sie selbst gerettet. Die Mutter, die in Norine schlummerte, war mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit für dieses kleine Wesen erwacht, seitdem sie ihm die Brust gereicht, es mit ihrem Leben genährt, es liebkost und behütet hatte. Und es war wunderbar zu sehen, wie Cécilie in ihrem Kummer über ihre für immer unfruchtbare Jungfräulichkeit das Kind adoptierte, es auch als das ihrige betrachtete. Das Kind hatte zwei Mütter, die sich nur mit ihm befaßten. Wenn Norine in den ersten Monaten oft den Mut verloren hatte, ihr Leben mit dem Kleben von Schachteln zu verbringen, wenn ihr selbst Fluchtgedanken gekommen waren, so war sie immer von den zwei schwachen Armen zurückgehalten worden, die sich um ihren Hals schlangen. Jetzt war sie ruhig und vernünftig geworden, sehr fleißig und geschickt in diesen kleinen Klebearbeiten, die Cécilie sie gelehrt hatte. Und man mußte sehen, wie die beiden fröhlich und einträchtig miteinander, ohne Männer, wie in einem Kloster lebten, vom Morgen bis zum Abend an beiden Seiten ihres kleinen Arbeitstisches sitzend, mit dem geliebten Kinde zwischen sich, das ihr einziger Lebenszweck war, arbeitend und glücklich.
Die beiden Schwestern hatten nur eine Freundin erworben, Madame Angelin. Dieser war, als Inspektorin der Armenverwaltung, ein Teil von Grenelle
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