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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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übertragen, und Norine befand sich unter den Unterstützten, die sie zu beaufsichtigen hatte. Sie hatte liebevollen Anteil an diesem hübschen Haushalt zweier Mütter, wie sie ihn nannte, genommen, und hatte es erwirkt, daß die kleine Rente von dreißig Franken monatlich für das Kind drei Jahre lang ausgezahlt wurde. Darauf hatte sie dem Kinde die Schulunterstützung verschafft, abgesehen von verschiedenen Geschenken, die sie ihnen immer wieder brachte, Kleider, Wäsche, auch Geld, denn sie sammelte ziemlich bedeutende Summen bei wohltätigen Personen, die sie dann unter die würdigsten armen Mütter verteilte. Sie kam noch immer gern, um hier eine Stunde zu verbringen, in diesem Winkel ruhiger Arbeit, der von dem Lachen und dem Spiele des Kindes fröhlich belebt wurde. Sie war hier abgeschieden von der Welt, sie litt hier weniger unter ihrer erstorbenen Mutterschaft. Und Norine küßte ihr die Hände und sagte, ohne sie hätten die zwei Mütter nicht leben können.
    Als Mathieu eintrat, wurde er mit Ausrufen der Freude empfangen. Auch er war ein Freund, ein Retter, der, indem er das Zimmer mietete und einrichtete, den Haushalt gegründet hatte. Es war sehr sauber, dieses große Zimmer, sehr anheimelnd mit seinen weißen Vorhängen, licht und fröhlich mit seinen zwei Fenstern, durch die eben jetzt die Abendsonne ihre breiten Strahlen hereinsandte. Norine und Cécilie saßen an ihrem Tischchen und schnitten und klebten; und der Kleine, der eben aus der Schule zurückgelehrt war, saß zwischen ihnen auf einem hohen Sessel und handhabte ernsthaft eine große Schere, in der Meinung, daß er ihnen helfe.
    »Ah, Sie sind es, wie gut von Ihnen, daß Sie zu uns kommen! Seit fünf Tagen war niemand da. Oh, wir beklagen uns nicht, wir sind so glücklich allein! Seit Irma einen Beamten geheiratet hat, verachtet sie uns. Euphrasie geht nicht mehr über ihre Treppen hinab. Victor wohnt mit seiner Frau am Ende der Welt. Und was diesen Taugenichts Alfred betrifft, so kommt er nur herauf, um zu sehen, ob er nichts stehlen kann. Die Mutter war vor fünf Tagen da, um uns zu erzählen, daß der Vater am Tage vorher in der Fabrik beinahe getötet worden wäre. Die arme Mutter! Sie ist so schwach, daß sie bald nicht mehr einen Fuß vor den andern wird setzen können.«
    Während sie beide zugleich sprachen, sich lebhaft unterbrechend und einander ergänzend, betrachtete Mathieu Norine, die in diesem regelmäßigen und ruhigen Leben mit nun sechsunddreißig Jahren eine neue Frische, die volle Reife einer schönen, von der Sonne vergoldeten Frucht gewonnen hatte. Und selbst Cécilie, die für immer ihre Kindergestalt behalten sollte, hatte an Kraft zugenommen durch die Energie der Liebe, die in ihrem schwachen Körper lebte.
    Cécilie stieß plötzlich einen Schreckensruf aus.
    »Er hat sich verletzt, das Unglückskind!«
    Sie entriß dem Kleinen die Schere, der, mit einem kleinen Blutstropfen an der Fingerspitze, lachte.
    »Ach, mein Gott,« sagte Norine ganz bleich, »ich habe geglaubt, daß er sich die Hand aufgeschnitten hat.«
    Einen Augenblick fragte sich Mathieu, ob es wohl notwendig sei, seinen seltsamen Auftrag ganz auszuführen. Dann hielt er es doch für angezeigt, die junge Mutter zu benachrichtigen, die er hier so friedlich in dem arbeitsvollen Leben sah, welches sie sich geschaffen hatte. Er ging vorsichtig zu Werke, teilte ihr nur allmählich die Wahrheit mit. Aber es kam doch der Augenblick, wo er, nachdem er sie an die Geburt Alexandre Honorés erinnert hatte, sagen mußte, daß das Kind lebe.
    Sie sah ihn erschrocken an.
    »Er lebt, er lebt? Warum sagen Sie mir das? Ich war so ruhig, indem ich nichts wußte!«
    »Allerdings, aber es ist doch besser, daß Sie es wissen. Man hat mir sogar gesagt, daß der Knabe in Paris sein dürfte, und ich habe mich daher gefragt, ob er Sie nicht vielleicht gefunden hat ob er nicht vielleicht zu Ihnen gekommen ist.« Das brachte sie vollends außer Fassung.
    »Wie, zu mir gekommen? Niemand ist zu mir gekommen! Und Sie glauben, daß er kommen könnte? Ich will nicht, ich will nicht! Ich würde den Kopf verlieren! Ein großer Junge von fünfzehn Jahren, der mich so überfallen würde, den ich nicht kenne, den ich nicht liebe! Nein, nein, nein, halten Sie ihn ab, ich will nicht, ich will nicht!«
    Sie war in heftiges Weinen ausgebrochen, sie ergriff mit verzweifelter Gebärde das Kind an ihrer Seite und drückte es an ihre Brust, wie um es gegen den andern, den Unbekannten, den

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