Fruchtbarkeit - 1
sie auch Unglück gehabt: der Tod ihres ersten Kindes, dieses späte Kommen ihres zweiten, das sie allerdings jubelnd empfangen hatten, das aber doch eine schwere Last für sie bildete, besonders jetzt, da sie sich hatte entschließen müssen, es zu sich zu nehmen. Und Mathieu fand sie nun in der starken Erregung der Erwartung auf der Schwelle ihres Ladens, ins Weite blickend, die Ecke der Straße ängstlich bewachend.
»Céleste schickt Sie, Monsieur? Nein, die Couteau ist noch nicht da. Aber ich wundere mich sehr darüber, ich erwarte sie von Minute zu Minute. Vielleicht bemühen Sie sich herein, Monsieur, und nehmen ein wenig Platz.«
Er wies dankend den einzigen Sessel zurück, der den schmalen Raum beengte, in welchem kaum drei Kunden Platz hatten. Hinter einer Glastür sah man rückwärts das dunkle Gelaß, in welchem das Ehepaar wohnte, zugleich Küche, Eßzimmer und Schlafzimmer, das Luft und Licht nur aus einem feuchten Hof empfing, der dahinter lag.
»Sie sehen, Monsieur, daß wir nicht viel Platz haben. Aber wir zahlen hier nur achthundert Franken, und wo fänden wir sonst einen Laden zu diesem Preise? Abgesehen davon, daß ich mir in diesen zwanzig Jahren eine kleine Kundschaft im Viertel verschafft habe. Oh, ich, ich beklage mich nicht, ich bin nicht dick, für mich ist überall Platz genug. Und da mein Mann erst abends nach Hause kommt, so setzt er sich mit seiner Pfeife in den Lehnsessel und fühlt sich auch nicht zu beengt. Ich verwöhne ihn soviel ich kann, und er ist einsichtsvoll genug, nicht mehr zu verlangen. Aber mit einem Kinde wird es zur Unmöglichkeit.«
Die Erinnerung an ihr erstes Kind, den kleinen Pierre, fiel ihr aufs Herz und füllte ihr die Augen mit Tränen.
»Ach, Monsieur, es sind nun zehn Jahre her, und ich sehe noch die Couteau, wie sie ihn mir zurückgebracht hat, so wie sie mir nun gleich den andern zurückbringen wird. Es wurde mir so viel vorerzählt, wie gut die Luft in Rougemont sei, und eine wie gesunde Lebensweise die Kinder führen, und was der meinige für rote Backen habe, daß ich ihn bis zu fünf Jahren dort gelassen habe, um so mehr, als ich zu meinem Kummer hier keinen Platz für ihn hatte. Und was die Pflegerin mir für Geschenke erpreßt hat, was ich für Geld hergegeben habe, nein, davon machen Sie sich keinen Begriff, es hat mich zugrunde gerichtet! Und auf einmal habe ich gerade nur Zeit gehabt, ihn zurückkommen zu lassen, man hat mir ein so mageres, bleiches, schwaches Kind zurückgebracht, als ob er in seinem Leben kein gutes Brot gegessen hätte. Zwei Monate später ist er in meinen Armen gestorben. Der Vater ist davon krank geworden, Monsieur, und wenn wir uns nicht gern gehabt hätten, so glaube ich, hätten wir uns beide ins Wasser geworfen.«
Sie trat fieberisch, mit halbgetrockneten Augen wieder auf die Schwelle, um abermals mit ungeduldiger Erwartung die Straße hinabzublicken. Und als sie, ohne etwas gesehen zu haben, zurückkehrte, fuhr sie fort:
»Sie können sich also unsre Gefühle vorstellen, als ich vor zwei Jahren, mehr als siebenunddreißig Jahre alt, wieder einen Knaben bekam. Wir waren närrisch vor Freude wie Jungverheiratete. Aber trotzdem, welche Verlegenheit, welche Sorgen! Wir haben ihn wieder in Pflege geben müssen, da wir ihn nicht bei uns behalten konnten. Und obschon wir uns geschworen hatten, daß er nicht nach Rougemont sollte, haben wir uns schließlich doch gesagt, daß wir den Platz kennen, daß er dort nicht schlechter aufgehoben sein würde als anderswo. Nur habe ich ihn zu der Vimeux gegeben, ich wollte nichts mehr von der Loiseau wissen, die mir meinen Pierre in einem solchen Zustande zurückgeschickt hat. Und jetzt, wo das Kind zwei Jahre alt ist, wollte ich nichts mehr von schönen Worten, von schönen Versprechungen, hören, und habe darauf bestanden, daß man mir ihn zurückbringt, obschon ich noch gar nicht weiß, wo ich ihn unterbringen soll. Ich erwarte sie seit einer Stunde, ich zittere schon vor Angst, so fürchte ich mich immer vor irgendeinem Unglück.«
Es duldete sie nicht mehr im Laden, sie blieb an der Tür, den Hals vorgestreckt, die Augen auf die Straßenecke geheftet. Plötzlich stieß sie einen Ruf der Erleichterung aus.
»Da sind sie!«
Ohne Eile, mürrisch und abgehetzt, trat die Couteau ein und legte das schlafende Kind in die Arme der Menoux, indem sie sagte:
»Er hat ein gehöriges Gewicht, Ihr Georges, das kann ich Ihnen sagen. Bei dem werden Sie nicht behaupten, daß man ihn Ihnen als
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