Fruchtbarkeit - 1
Sie horchte auf das Pochen des Lebens in ihren Adern, sie verfolgte leidenschaftlich dieses Aufwallen ihres Blutes, diese heißen Schauer, diese Beklemmungen, die sie nicht begriff, die sie für ein verspätetes Wiedererblühen ihres Geschlechts hielt. Eines Nachts, als sie ihren Mann heimkommen hörte, war sie sogar nahe daran, sich zu erheben, ihn zu sich zu rufen, von der beseligenden Gewißheit erfaßt, doch noch ein Kind bekommen zu können. Dann traten starke Schmerzen auf, Boutan mußte gerufen werden, und es war ein neuer tötlicher Schlag, ein furchtbarer Sturz, als er lediglich ein vorzeitiges Eintreten des Klimakteriums mit kaum sechsundvierzig Jahren konstatierte, indem er durchblicken ließ, daß die Unterschlagungen das wohl beschleunigt haben mochten. Dieses Mal war der Baum des Lebens endgültig tot, nichts konnte mehr aus den verdorrten Zweigen sprießen, von denen nun die letzten Blüten abgefallen waren.
Seit zwei Monaten zehrte so Constance an ihrer dumpfen Wut, nicht mehr Weib zu sein. Und am Vormittag, bei der Taufe, und jetzt hier im Wagen neben dieser schwangeren jungen Frau hatte ihre noch uneingestandene, gleich einer schimpflichen Krankheit geheimgehaltene Vernichtung ihr Lächeln vergiftet, sie mit Mißgunst und Haß erfüllt, böse Gedanken in ihr entstehen lassen. Das Kind, das sie verloren hatte, das Kind, das sie nicht mehr haben konnte, dieses so lange in ruhiger Sicherheit gewiegte, nun betrogene und nie wieder zu befriedigende Muttergefühl versetzte sie in eine krankhafte Seelenentartung, in welcher grauenhafte Rachegelüste in ihr entstanden, die sie sich selbst nicht zu gestehen wagte. Sie klagte die ganze Welt, alle Menschen, alle Ereignisse an, daß sie sich vereinigten, um sie zu martern. Ihr Mann war der jämmerlichste, der blödsinnigste Verräter, denn er verriet sie, indem er von Tag zu Tag immer mehr von der Fabrik diesem Blaise überantwortete, dessen Frau, wenn sie einen Sohn verlor, sogleich einen andern bekam. Sie sah mit Ingrimm ihren Mann so froh, so glücklich, seitdem sie ihn für seine niedrigen außerhäuslichen Freuden freigegeben hatte, ohne fortan etwas von ihm zu verlangen, nicht einmal seine Anwesenheit. Er trug nach wie vor seine sieghafte Überlegenheit zur Schau, indem er erklärte, er habe sich nicht geändert. Und so war es auch, denn mochte auch der tatkräftige Chef von einst ein markloser Wüstling geworden sein, der unaufhaltsam der Paralyse zusteuerte, er war jetzt wie damals nichts andres als der vollkommene Egoist, der nur das Bestreben hatte, dem Leben so viel Genuß als möglich abzugewinnen. Er sank unaufhaltsam, er hatte Blaise nur herangezogen, weil er glücklich war, in ihm einen tüchtigen Kopf und fleißigen Arbeiter zu finden, der ihm alle die Sorgen abnahm, die seinen schlaffen Schultern zu schwer geworden waren, und der das Geld verdiente, das er für sein Vergnügen brauchte. Constance wußte, daß eine Teilhaberschaft geplant war. Ihr Mann hatte, wie es schien, sogar schon eine große Summe erhalten, um gewisse geheime Lücken zu stopfen, die er ihr verbarg, entstanden aus ungeschickten Spekulationen, schmutzigen Schulden. Und mit geschlossenen Augen dasitzend, während der Wagen weiterrollte, vergiftete sie sich die Seele mit dem Wiederholen aller dieser Dinge, sie hätte mögen vor Wut laut aufschreien, sich auf diese junge Frau, diese Charlotte neben ihr stürzen, die geliebte Gattin, die fruchtbare Mutter, um sie zu ohrfeigen und ihr das Gesicht zu zerfleischen.
Dann fiel ihr wieder Denis ein. Warum nahmen sie ihn mit nach der Fabrik? Wollte auch er sich an dem Raub beteiligen? Sie wußte gleichwohl, daß er, bis jetzt noch ohne feste Stellung, sich geweigert hatte, seinem Bruder an die Seite zu treten, da er der Ansicht war, daß für beide nicht Platz genug sei. Er besaß sehr gründliche Kenntnisse in der Mechanik und hatte den Wunsch, Stellung als Leiter in einer großen Schiffswerft oder Maschinenfabrik zu finden. Und eben seine Kenntnisse machten ihn zu einem wertvollen Berater, wenn die Fabrik ein neues Modell irgendeiner großen landwirtschaftlichen Maschine herzustellen hatte. Sie dachte jedoch nicht weiter an ihn, er spielte in ihren Befürchtungen keine Rolle, denn er war für sie nur der Gast auf eine Stunde, der vielleicht morgen schon sich irgendwo am andern Ende Frankreichs niederlassen würde. Aber der Gedanke an Blaise kehrte unablässig, beklemmend wieder, und plötzlich überkam es sie wie eine Eingebung,
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