Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
er sie? Für welche geheime Leidenschaft, für welche tolle Einbildung verwendete er sie? Dabei war er sehr sanft, sehr sauber in seinem Aeußern, sein nun ganz weißer Bart war sehr gepflegt, und er kam mit einem schwachen Lächeln in sein Bureau, ohne daß etwas in dem Wesen dieses so pünktlichen und methodischen Menschen auf die Zertrümmerung in seinem Innern, auf die noch rauchende Asche deutete, die die Katastrophe seines Daseins zurückgelassen hatte.
    Zwischen Constance und Morange hatte sich allmählich eine Art Gemeinschaft herausgebildet. Als sie ihn nach dem Tode seiner Tochter vernichtet in die Fabrik hatte zurückkehren sehen, war sie von tiefem Mitleid für ihn erfaßt worden, welchem, ihr selbst nicht bewußt, eine dumpfe persönliche Angst beigemischt war. Ihr Maurice sollte noch fünf Jahre leben, aber sie war schon von Ahnungen bedrückt, sie konnte Morange nicht begegnen, ohne daß ein kalter Schauer ihr ans Herz griff: das war der Mann, der sein einziges Kind verloren hatte. Großer Gott, ein solches Unglück war also möglich? Und als sie, selbst von dem Schlage betroffen, die entsetzlichste Verzweiflung kennen gelernt, die klaffende, unheilbare Wunde empfangen hatte, da hatte sie sich diesem Bruder im Schmerze genähert und sprach zu ihm und behandelte ihn mit einer Sanftmut, die sie sonst niemand zeigte. Manchmal lud sie ihn ein, den Abend bei ihr zuzubringen, und sie sprachen miteinander, saßen auch oft lange schweigend, wortlos ihr Elend miteinander vereinigend. Später hatte sie dann diese Freundschaft benützt, um sich durch ihn von allen den Vorgängen in der Fabrik unterrichten zu lassen, von denen ihr Mann ihr nichts sagte. Besonders seitdem sie den in Verdacht hatte, daß er das Unternehmen schädige, unerlaubte Ausgaben mache, Schulden habe, trachtete sie, aus dem Buchhalter einen Vertrauten, selbst einen Spion zu machen, der ihr half, so viel als möglich von einer Leitung zu übernehmen, die sie in schlechten Händen sah. Daher eilte sie heute so sehr, in die Fabrik zurückzukehren; sie wollte die Gelegenheit ergreifen, allein mit ihm zu sein, überzeugt, ihn in Abwesenheit der Chefs dazu bringen zu können, ihr alles zu sagen.
    Sie nahm sich kaum Zeit, Hut und Handschuhe abzulegen. Sie fand ihn in seinem kleinen Bureau, auf seinem unveränderlichen Platze, über sein ewiges Buch gebeugt, das vor ihm aufgeschlagen lag.
    »Ah!« sagte er erstaunt. »Das Taufmahl ist also schon vorüber?«
    Sie richtete ihre Antwort gleich so ein, daß sie ihr als Uebergang zu dem diente, wovon sie sprechen wollte.
    »Jawohl. Das heißt, ich bin nach Hause gegangen, weil ich wahnsinnige Kopfschmerzen hatte. Die andern sind noch dort geblieben… Und da wir nun allein hier sind, so habe ich gedacht, daß es mir gut tun würde, ein wenig mit Ihnen zu plaudern, lieber Freund. Sie wissen, wie ich Sie schätze… Ach, ich bin unglücklich, sehr unglücklich!«
    Sie war auf einen Sessel gesunken, von den Tränen erstickt, die sie gegenüber dem Glücke der andern so lange zurückgehalten hatte. Bestürzt, sie so zu sehen, selber kraftlos und hilflos, wollte er die Zofe herbeirufen, da er fürchtete, sie befände sich nicht wohl. Aber sie hielt ihn ab.
    »Ich habe niemand mehr als Sie, lieber Freund! Alle Welt verläßt mich, alle Welt ist mir feindlich. Ich fühle es, man ruiniert mich, man arbeitet an meinem Verderben, als ob ich nicht ohnehin alles verloren hätte, als ich mein Kind verlor! Und da nur Sie allein mir geblieben sind, der Sie meine Qual mitfühlen können, der Sie auch Ihr Kind verloren haben, seien Sie barmherzig, stehen Sie mir wenigstens bei, sagen Sie mir die Wahrheit! Wenigstens werde ich mich verteidigen können.«
    Als sie von seinem Kinde sprach, hatte auch er zu weinen angefangen. Und nun konnte sie ihn ausfragen, er würde ihr antworten, ihr alles sagen, niedergedrückt, wie er von dem gemeinschaftlichen Schmerze war, den sie heraufbeschworen hatte. Er erzählte ihr denn, daß tatsächlich ein Vertrag zwischen Blaise und Beauchêne errichtet werden sollte, wenn auch nicht gerade ein Gesellschaftsvertrag. Beauchêne, der der Kasse der Fabrik beträchtliche Summen entnommen hatte, deren er für uneingestehbare Ausgaben bedurfte – eine Erpressungsgeschichte, hieß es, die Mutter eines kleinen Mädchens, die ihm mit dem Gericht drohte –, hatte sich Blaise anvertrauen müssen, seinem Stellvertreter, dessen Tatkraft nun das ganze Unternehmen leitete, und hatte ihn gebeten, ihm

Weitere Kostenlose Bücher