Fruchtbarkeit - 1
dann würde er die Fabrik nicht bekommen.
Er kam näher. Da entstand ein furchtbarer Kampf in ihr. Wie lange dauerte er? Tage, Jahre? Ohne Zweifel nur einige Sekunden. Sie war selbstverständlich entschlossen, ihn anzuhalten, sie war sicher, daß sie den wahnsinnigen Gedanken verjagen werde, wenn der Augenblick für die entscheidende Gebärde da war. Aber dieser Gedanke nahm gleichwohl immer mehr Besitz von ihr, ging in ihren Körper über, wurde ein physisches Bedürfnis wie Hunger und Durst. Sie lechzte danach bis zur Pein, sie wurde von einem jener Anfälle heißer Gier ergriffen, aus denen das Verbrechen entsteht, der Überfall auf den Vorübergehenden auf der Straße, der Meuchelmord. Es schien ihr, als ob es ihr Leben kosten müsse, wenn sie die Gier nicht befriedigte. Eine siedende Leidenschaft, ein wahnsinniges Verlangen nach der Vertilgung dieses Menschen schlug über ihr zusammen, wie er so näher kam. Sie sah ihn nun genauer, und Haß und Wut erfüllten sie. Seine Stirn, seine Augen, sein Mund flößten ihr quälenden Abscheu ein. Ein Schritt, noch einer, und noch einer, und er wird bei ihr sein. Noch einen Schritt, und sie wird die Hand ausstrecken, um ihn abzuhalten, so wie er daran rührte.
Er kam näher. Was geschah, großer Gott? Als er da war, so in Gedanken versunken, daß er an ihr vorbeistreifte, ohne sie zu bemerken, wurde sie zu Stein. Ihre Hand war erstarrt, sie konnte sie nicht erheben, sie hing zentnerschwer herab. Die Glut ihres Fiebers hatte einer Eiseskälte Platz gemacht, die ihren Geist und ihre Glieder lähmte, während ein heftiges Brausen, das in ihr entstand, sie betäubte. Aller Widerstreit war verschwunden, das Verlangen nach diesem Tode wurde verzehrend, unwiderstehlich, unter der unablässigen gebieterischen Stimme in ihrem Innern, die sie am Wollen und Handeln hinderte. Er würde sterben, er würde die Fabrik nicht bekommen. Und starr, an die Mauer gedrückt, ohne zu atmen, hielt sie ihn nicht an. Sie hörte das leichte Geräusch seines Atems, sie sah sein Profil, dann seinen Nacken. Er war vorüber. Noch ein Schritt, noch ein Schritt. Gleichwohl, wenn sie ihn anrief, konnte sie noch immer, in dieser letzten Sekunde, das Schicksal ändern. Sie glaubte die Absicht zu haben, aber sie biß die Zähne aufeinander, daß sie beinahe brachen. Dann machte er noch einen Schritt, ohne auch nur aufzublicken, vertrauend auf den wohlbekannten Boden, ganz in Gedanken an seine Arbeit versunken. Und der Boden schwand, ein lauter, furchtbarer Schrei, der Luftstoß des Sturzes, das dumpfe Aufschlagen unten in der Finsternis.
Constance rührte sich nicht. Einen Augenblick stand sie versteinert, immer noch horchend, immer noch wartend. Aber nichts kam aus dem Abgrund als ein tiefes Schweigen. Sie hörte den Regen mit neuer Wut gegen die Scheiben peitschen. Dann entfloh sie, durcheilte den Verbindungsgang, kam in ihren Salon. Hier fand sie sich selbst wieder, befragte sich. Hatte sie denn das Entsetzliche gewollt? Nein, ihr Wille hatte keinen Teil daran. Sicherlich war ihr Wille gelähmt gewesen, unfähig zum Handeln. Wenn es geschehen war, so war es unabhängig von ihr geschehen, denn sicherlich war sie geistesabwesend gewesen. Das Wort, die Macht dieses Wortes, beruhigte sie. Sie klammerte sich daran, wiederholte es. Ja, ja, so war es, sie war geistesabwesend gewesen. Ihr ganzes Leben zog an ihr vorüber, ohne einen Fehltritt, ohne eine schlechte Tat. Sie hatte nie gesündigt, nicht einmal eine unerlaubte Bosheit lastete auf ihrem Gewissen. Eine anständige Frau, hatte sie ihre Würde bewahrt, inmitten der Ausschweifungen ihres Mannes. Eine leidenschaftlich liebende Mutter, stieg sie ihren Leidensweg hinan seit dem Tode ihres Sohnes. Und diese Erinnerung an Maurice allein entzog sie auf einen Augenblick ihrer tränenlosen Starrheit, stieg wie mit einem Anfang von Schluchzen in ihrem Halse auf, als ob hier der Grund ihres Wahnsinns läge, die Erklärung des Verbrechens, nach der sie vergeblich suchte. Ein Schwindel überkam sie wieder – ihr Sohn tot, der andre Herr geworden an seiner Statt – , diese ganz rasende Auflehnung gegen die Entthronung des einzigen Sohnes, des Kronprinzen, flammte wieder auf, diese ganze vergiftete Wut, die in ihr gärte, sie zerrüttete, sie sinnlos bis zum Morde trieb. Hatte diese grauenhafte Flut in ihr also schon das Hirn überschwemmt? Ein Aufwallen des Bluts genügt, um das Bewußtsein zu verdunkeln. Aber sie beharrte dabei, geistesabwesend gewesen zu sein,
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