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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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drei Stockwerke tief bis ins Untergeschoß hinab. Ein feuchter Kellergeruch stieg herauf, man unterschied kaum die Umrisse der starken Eisenkonstruktion. Ganz unten brannte eine einzige Laterne, wie um die Grausigleit und die Tiefe des Abgrundes besser zu zeigen. Sie wichen erbleichend zurück.
    Morange erzürnte sich nun. «Das ist ja unerhört! Was tun sie denn eigentlich? Warum wird die Vorschrift nicht befolgt? Gewöhnlich steht ein Mann da, der eigens als Wächter hergestellt wird, und der seinen Posten nicht verlassen darf, ehe der Aufzug wieder oben ist. Wo ist er? Was tut er denn?«
    Er kehrte zu der Öffnung zurück und rief mit zorniger Stimme: »Bonnard!«
    Niemand antwortete, der Schlund blieb leer, finster, grundlos. Dieses Schweigen versetzte ihn in Wut.
    »Bonnard! Bonnard!«
    Immer noch nichts, nur der feuchte Hauch der Finsternis stieg herauf, wie aus der Stille eines Grabes.
    Da entschloß er sich zu energischem Handeln. »Ich muß hinunter und diesen Bonnard suchen. Stellen Sie sich vor, wenn wir da hinabgestürzt wären! Nein, das ist zu arg. Er muß sofort die Tür schließen oder auf seinem Posten bleiben. Was macht er denn? Wo steckt er denn?«
    Schon war er eine schmale Wendeltreppe hinabgestiegen, die längs des Aufzuges durch alle Stockwerke ging, als er noch mit allmählich verhallender Stimme zurückrief: »Ich bitte Sie recht sehr, Madame, erwarten Sie mich, bleiben Sie hier, um diejenigen zu warnen, die etwa vorbeikommen sollten.«
    Constance war allein. Der Regen trommelte noch immer gegen die Scheiben, aber das Tageslicht wurde allmählich etwas stärker, je mehr die schwarze Wolke vor dem Winde hinzog. Und nun sah sie in dem bleichen Licht Blaise am andern Ende der Galerie erscheinen. Er war eben zurückgekehrt und hatte die andern auf einen Augenblick verlassen, um sich in den Werkstätten irgendeinen Aufschluß zu verschaffen, dessen sie bedurften. In Gedanken versunken, mit seiner Arbeit beschäftigt, die ihn wieder in ihren Bannkreis zog, schritt er mit ein wenig gesenktem Kopfe ruhig vorwärts. Als sie ihn erblickte, kochte in ihrem Herzen der heiße Groll auf, die Wut über das, was sie eben gehört hatte, über diesen Vertrag, der morgen unterzeichnet werden sollte, und der sie berauben würde. Das war der Feind neben ihr, gegen sie, den sie in einem wilden Aufbäumen ihres ganzen Wesens hätte zerschmettern, hinauswerfen mögen wie einen falschen und betrügerischen Einschleicher.
    Er kam näher. Sie stand dicht an der Wand, im dunkeln Schatten, so daß er sie nicht sehen konnte. Aber sie sah ihn, je mehr er sich näherte, mit eigenartiger Deutlichkeit in dem grauen Lichte. Nie noch war ihr die Breite seiner Stirn, die Klugheit seiner Augen, der feste Wille seines Mundes so aufgefallen. Und plötzlich durchfuhr es sie wie ein brennender Feuerstrahl: er ging auf die Oeffnung zu, er würde sicher hineinfallen, wenn sie ihn nicht aufhielt. Soeben war auch sie wie er von dort gekommen, wäre auch sie da hineingestürzt, wenn eine Freundeshand sie nicht zurückgehalten hätte. Sie fühlte noch den Schreckensschauer in den Adern, sie sah noch den feuchten schwarzen Schlund mit der kleinen Laterne unten. Das Entsetzliche tauchte auf, trat ihr deutlich vor Augen: der unter den Füßen schwindende Boden, der Sturz unter einem lauten Schrei, die Zerschmetterung.
    Er kam näher. Gewiß, so etwas konnte nicht geschehen, sie würde ihn aufhalten, da eine kleine Handbewegung dazu genügte. Wenn er heran sein würde, dicht bei ihr, hatte sie nicht noch immer Zeit, den Arm auszustrecken? Aber aus einem dunkeln Winkel ihrer Seele erhob sich eine Stimme, sehr klar und kalt, die ihr kurze Worte zuflüsterte, welche in ihre Ohren klangen wie Trompetenstöße. Wenn er tot wäre, dann wäre alles vorüber, dann würde er die Fabrik nicht bekommen. Sie, die von rasender Verzweiflung erfüllt war, daß sie kein Hindernis erdenken konnte, brauchte nur den hilfreichen Zufall walten zu lassen. Und die Stimme sagte das, wiederholte das mit schneidender Beharrlichkeit, ohne sonst etwas hinzuzufügen. Nachher kam nichts. Nachher gab es nur einen zerschmetterten, vernichteten Menschen, einen mit Blut bespritzten finsteren Schlund, in dem sie nichts mehr sah, nichts mehr dachte, nichts mehr voraus wußte. Was würde später geschehen? Sie wollte nichts wissen, es gab gar kein Später. Die gebieterische Stimme verlangte nur die brutale, die unverzügliche Tat. Wenn er tot wäre, dann wäre alles vorüber,

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