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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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krank zu Bett, totenbleich im Gesichte. Sie fing zu schluchzen an und erzählte ihm schaudernd die Geschichte, den Besuch Madame Angelins, das plötzliche Kommen Alexandres, der das Täschchen gesehen und das Versprechen einer baldigen weiteren Gabe mit Tag und Stunde gehört hatte. Und sie konnte auch gar keinen Zweifel mehr haben, denn das Taschentuch, das am Halse des Opfers gefunden worden, war ihr Taschentuch, eines von denen, die Alexandre ihr gestohlen hatte, mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens gestickt, einer jener billigen Putzgegenstände, die in den großen Warenhäusern zu Tausenden verkauft werden. Dies war der einzige Anhaltspunkt für die Polizei, und er war so unbestimmt, so allgemein, daß die Polizei noch immer suchte und, durch verschiedene Spuren abgelenkt, nur wenig Aussicht auf Erfolg hatte.
    Mathieu, der sich ans Bett gesetzt hatte, war erstarrt. Lieber Gott, diese arme Madame Angelin! Er sah sie wieder vor sich, dort in Janville, jung, heiter, strahlend, mit ihrem Manne durch die Wälder streifend, einsamen Pfaden folgend, im bergenden Schatten der Weiden am Ufer der Yeuse verweilend, in einem solchen ununterbrochenen Liebesfeste, daß ihre Küsse unter den Zweigen klangen wie Vogelgezwitscher. Er sah sie später, schon zu hart gestraft für diese leichtsinnig verlängerte Zeit der tollen Leidenschaft, verzweifelt, das Kind nicht mehr bekommen zu können, das sie zu wollen zu lange gezögert hatte, niedergedrückt durch das schleichende Leiden, das sie mit einem blinden Manne beschwerte, der mit seiner Umnachtung den geringen Rest ihres Glückes verdunkelte. Und plötzlich sah er auch ihn, den bedauernswerten Blinden, wie er an jenem Abend die Rückkehr seiner Frau erwartet haben mußte, damit sie ihm zu essen gebe und ihn schlafen lege, das alte Kind, nun mutterlos und verlassen, für immer allein in seiner Finsternis, ohne andre Genossin als das blutende Gespenst der Ermordeten. Einst die Aussicht auf eine so strahlende Zukunft, und nun ein solches Schicksal, ein solcher Tod!
    »Wir hatten recht,« sagte Mathieu, an Constance denkend, »diesem Elenden den Namen seines Vaters zu verbergen. Welch entsetzliche Tat! Wir müssen das Geheimnis in unserm tiefsten Innern begraben.«
    Norine wurde wieder von Schauder ergriffen. »Fürchten Sie nichts, ich würde eher sterben als etwas sagen.«
    Monate, Jahre vergingen, und die Mörder der Dame mit dem Handtäschchen wurden nie entdeckt. Noch Jahre hindurch erzitterte Norine, so oft ein kräftigeres Klopfen an ihrer Tür erscholl. Aber Alexandre erschien nicht wieder, offenbar in Furcht vor dieser Ecke der Rue de la Fédération, wie untergetaucht in dem Ozean von Paris mit seinen finsteren, unergründlichen Tiefen.
     
     

2
    Und während der zehn Jahre, die hingingen, dauerte das kräftige Wachstum der Froment fort, ein gesundes Sprießen voll Kraft und Freude auf dem immer reicher erblühenden Besitze Chantebled. In dem Maße, als die Söhne und Töchter heranwuchsen, wurden neue Ehen geschlossen, neue Kinder wurden geboren, die erwartete Ernte kam herein, das erobernde Geschlecht wucherte üppig fort, ins Unendliche.
    Zuerst heiratete Gervais Caroline Boucher, die Tochter eines bedeutenden Landwirts der Umgebung, ein kräftiges und frohgemutes blondes Mädchen mit schönen Zügen, eine tatkräftige Frau, die dazu geschaffen war, ihrem kleinen Volke von Bediensteten zu befehlen. Sie war, nachdem sie ihre Erziehung in einem Pariser Pensionat genossen hatte, klug genug gewesen, sich der Erde nicht zu schämen, sich ihr wieder in Liebe zuzuwenden, von ihr das wohlgegründete Glück ihres Lebens empfangen zu wollen. Sie brachte als Mitgift weitgedehnte Wiesen gegen Lillebonne hin, die den Besitz um etwa dreißig Hektar vergrößerten. Und sie brachte vor allem ihre heitere Laune, ihre Gesundheit, die unverdrossene Tatkraft, zeitig aufzustehen als energische, immer in Bewegung befindliche Hausfrau, den Viehhof, die Meierei, die ganze Wirtschaft zu führen, und als letzte schlafen zu gehen.
    Dann wurde die seit langem geplante Heirat Claires mit Frédéric Berthaud zur Tatsache. Es gab wehmutsvolle Tränen, die Erinnerung an Rose, die er geliebt hatte, die er hätte heiraten sollen, bewegte die Herzen am Hochzeitstage, als sie auf dem Rückwege vom Standesamt an dem kleinen Friedhof von Janville vorbeikamen. Aber war das nicht ein Band mehr, diese Liebe von einst, die treue Zuneigung dieses wackeren jungen Mannes, die er auf die jüngere Schwester

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