Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Reparaturen gesprochen hatte, ohne es zu erreichen, daß er hätte eintreten können. Trotzdem übrigens der alte Buchhalter, dessen wallender Bart nun schneeweiß geworden war, von peinlicher Sauberkeit blieb, trug er einen in jammervollem Zustande befindlichen Gehrock, dessen Schäden er wohl des Abends ausbessern mochte. Sein Geiz hatte einen solchen Grad erreicht, daß er sich keine andre Ausgabe mehr vergönnte, als für das große Brot, das er sich alle vier Tage kaufte, und das er altbacken aß, um mit weniger genug zu haben. Natürlich erregte das die Neugierde aller Leute, und es verging keine Woche, wo seine Hausmeisterin nicht die Frage aufwarf: ein so wohlhabender Herr, der achttausend Franken in seiner Anstellung verdiente, und der nie einen Sou ausgab, was konnte der mit seinem Gelde machen? Man berechnete sogar die Summe, die er in irgendeinem Winkel aufgehäuft haben mußte, einige hunderttausend Franken vielleicht. Dann gaben sich Zeichen noch schwererer innerer Störungen kund und zweimal wurde er mit genauer Not vom Tode gerettet. Eines Tages, als Denis über den Pont de Grenelle heimging, bemerkte er ihn, wie er sich über das Geländer neigte und beinahe hineingestürzt wäre, wenn er ihn nicht noch rechtzeitig am Rocke erfaßt hätte. Er hatte dann in seiner sanften Art gelächelt und von einer plötzlichen Betäubung gesprochen. Ein andres Mal riß ihn Victor Moineaud von einer in Bewegung befindlichen Maschine zurück, im Augenblicke, wo er nahe daran war, sich starren Blicks von den gierigen Zähnen des Räderwerks erfassen zu lassen. Wieder hatte er gelächelt und sein Unrecht eingestanden, den Rädern zu nahe zu gehen. Man bewachte ihn von da ab, in der Annahme, daß er Anfälle von Geistesabwesenheit habe. Wenn Denis ihn als ersten Buchhalter behielt, so war dies vorerst aus Erkenntlichkeit für seine langen Dienste; außerdem aber war es merkwürdig, daß er seine Aufgabe nie besser erfüllt hatte; er suchte mit peinlicher Gewissenhaftigkeit nach fehlenden Centimes, er war unfehlbar sicher in den längsten Additionen. Und mit friedlichem, ruhigem Gesichte, als ob noch kein Sturm sein Herz verwüstet hatte, lebte er mechanisch sein enges Dasein weiter, ein stiller Wahnsinniger, der vielleicht reif für die Zwangsjacke war, ohne daß man es wußte.
    Seit einigen Jahren gab es jedoch im Leben Moranges ein großes Ereignis. Obgleich er der Vertraute Constances war und sie ihn mit der überlegenen Kraft ihres Willens zu ihrem Eigentum gemacht hatte, war in ihm allmählich eine leidenschaftliche Zuneigung zu Hortense, dem Kinde Denis’ entstanden. Je mehr er sie hatte heranwachsen sehen, desto mehr hatte er sich eingebildet, in ihr Reine, seine schmerzlich beweinte Tochter wiederzufinden. Sie war nun neun Jahre alt, und so oft er sie sah, wurde er von einer Bewegung, einer Zärtlichkeit ergriffen, die um so rührender war, als sie lediglich auf einer wunderbaren Täuschung seines Kummers beruhte, denn die beiden Kinder glichen einander gar nicht: die eine war schwarz gewesen, die andre war nahezu blond. Trotz seines schrecklichen Geizes überhäufte er Hortense bei jeder möglichen Gelegenheit mit Puppen und Geschenken. Und die Liebe zu diesem Kinde erfüllte ihn schließlich so, daß Constance argwöhnisch wurde. Sie gab ihm zu verstehen, daß, wer nicht ganz für sie sei, gegen sie sei. Er schien sich zu unterwerfen, lauerte aber dem Kinde auf, um es im geheimen zu küssen, liebte es deshalb nur um so mehr, wie mit einer Leidenschaft, der Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Und in seinen fast täglichen Beziehungen zu Constance, in seiner anscheinenden Treue für die einstige Herrin der Fabrik, folgte er nur der Furcht eines armen eingeschüchterten Menschen, den sie stets gewaltsam unter ihren Willen gebeugt hatte. Zwischen ihnen bestand ein altes Band, das Grauenhafte, um das nur sie allein wußten, die gemeinsame Schuld, von der sie nie sprachen, die sie aber aneinanderkettete. Er, der Schwache und Weiche, schien dadurch zerdrückt, ganz zahm wie ein furchtsames Tier. Nach diesem schrecklichen Tage hatte er übrigens alles andre erfahren, keines der Geheimnisse des Hauses war ihm verborgen. Er befand sich nun schon so viele Jahre da, war so viel hin und her gegangen mit seinen kleinen, mechanischen Schritten, hatte alles gesehen, alles gehört, war zu allem dazugekommen. Und dieser Verrückte, der alles wußte, der schwieg, mutlos inmitten des düsteren Dramas, hatte doch manchmal seine

Weitere Kostenlose Bücher