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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mochten denn Mut und Arbeit ihnen den Erfolg erobern helfen!
    Aber besonders Benjamin, der Jüngste, war tief betroffen von dieser Trennung. Er war noch nicht zwölf Jahre alt, ein hübscher, zarter Knabe, den die Eltern sehr verhätschelten, da sie glaubten, er sei von schwacher Gesundheit. Diesen wollten sie ganz für sich behalten, so süß und lieb fanden sie ihn mit seinen weichen, zärtlichen Augen, seinen schönen lockigen Haaren. So war er zu einem sanften und träumerischen Knaben herangewachsen, zärtlich geliebt und von der Mutter verwöhnt, gleichsam dieser starken und arbeitsamen Familie liebenswürdiger Tribut an das Nichtstun.
    »Gib mir noch einen Kuß, lieber Nicolas. Wann kommst du wieder?«
    »Niemals, mein kleiner Benjamin.«
    Das Kind erschauerte. »Niemals, niemals, oh, das ist zu lang! Komm zurück, komm doch zurück, damit ich dich wieder küssen kann.«
    »Niemals,« wiederholte Nicolas, selbst ganz bleich. »Niemals, niemals!«
    Er hatte den Knaben zu sich heraufgehoben, der nun heftig weinte. Es war für alle eine Minute schneidenden Schmerzes, die Minute des Losreißens, der ewigen Trennung.
    »Lebewohl, Benjamin! Lebt wohl, lebt wohl, ihr alle!«
    Während Mathieu dem ausziehenden Eroberer einen letzten Segenswunsch mitgab, flüchtete Benjamin trostlos, von Tränen geblendet, zu Marianne. Sie schloß ihn leidenschaftlich in ihre Arme, wie von der Furcht ergriffen, daß auch er sie verlassen könnte. Nur er war ihnen noch im Elternhause zurückgeblieben.
     
     

3
    In dem reichen Fabrikswohnhause, wo sie als unumschränkte Herrin geherrscht hatte, erwartete Constance nun schon seit zwölf Jahren starr und trotzig ihr Schicksal, angesichts der zunehmenden Zerbröckelung ihres Lebens und ihrer Hoffnung.
    Während dieser zwölf Jahre war Beauchêne unaufhaltsam immer tiefer gesunken. Er war nun auf der untersten Stufe, bei der letzten Erniedrigung angelangt. Ausgehend von den gewöhnlichen Seitensprüngen des ungetreuen Gatten, aus dem Alkoven verjagt, durch die einverständliche eheliche Unterschlagung auf die Straße gedrängt, war er, der Befriedigung seiner unersättlichen Gier nachjagend, dahin gelangt, gar nicht mehr nach Hause zu kommen, nur mehr bei den Dirnen zu leben, die er auf der Straße auflas. Zuletzt hatte er eine Vorliebe für zwei von ihnen gefaßt, Tante und Nichte, wie sie sagten, und verkam nun in den Armen dieser beiden, noch immer lüstern mit fünfundsechzig Jahren, eine jämmerliche menschliche Ruine, der ein schimpflicher Tod in einer letzten Ausschweifung bevorstand. Und für diesen widerwärtigen alten Wüstling hatte sein einstiges großes Vermögen nicht ausgereicht; er hatte, je älter er wurde, das Geld um so sinnloser verschwendet, hatte große Summen für unsaubere Abenteuer ausgeben müssen, um den Skandal zu ersticken, der daraus zu entstehen drohte. Er war verarmt, er bezog nur mehr einen sehr kleinen Teil des steigenden Gewinnes der in vollem Gedeihen stehenden Fabrik.
    Constances unbeugsamer Stolz litt entsetzlich unter diesem Niedergang. Seitdem er seinen Sohn verloren, hatte sich Beauchêne noch mehr gehen lassen, nur mehr seinen persönlichen Freuden gelebt, sich immer weniger um sein Haus gekümmert, um Dirnen nachzulaufen. Wozu dieses Haus verteidigen, da der Erbe nicht mehr da war, der es einmal vergrößert, bereichert übernehmen sollte? Und so hatte er es Stück um Stück seinem Gesellschafter Denis überliefert und ihn allmählich zum einzigen Herrn werden lassen. Denis hatte bei seinem Eintreten nur einen von den sechs Anteilen besessen, in welche das Eigentum der Fabrik vertragsmäßig zerlegt worden war; und Beauchêne hatte sich obendrein das Recht vorbehalten, diesen Anteil bis zu einem gewissen Zeitpunkte zurückzukaufen. Aber weit entfernt, hierzu imstande zu sein, als die Zeit um war, sah er sich genötigt, dem jungen Mann noch einen Teil zu verkaufen, um uneingestehbare Schulden decken zu können. Von da ab wurde das zur ständigen Gewohnheit, alle zwei Jahre mußte er einen Teil abtreten, der dritte Teil war dem zweiten gefolgt, dann kam die Reihe an den vierten, dann an den fünften, so daß er heute, infolge eines schließlichen Übereinkommens nicht einmal mehr einen ganzen Anteil besaß, sondern nur mehr ein Stück des letzten Sechstels, im Werte von kaum hunderttausend Franken. Und auch dies war nur ein Scheinbesitztum, denn Denis hatte ihm diesen Betrag nur zugestanden, um ihm in dieser Form eine Rente auszusetzen, die er

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