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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Augenblicke dumpfer Empörung, wenn er sich verstecken mußte, um seine kleine Freundin Hortense zu küssen, grollte im Herzen, war nahe daran, endlich in Zorn zu geraten, wenn man an seine Liebe rührte.
    Plötzlich lud Constance ihn eines Abends zum Diner. Er erriet, daß die Stunde der versprochenen vertraulichen Mitteilung gekommen sei, als er sie bebend, ihre kleine Gestalt aufgerichtet, vor sich sah, eine Kriegerin, die nun des Sieges gewiß war. Bei Tische berührte sie jedoch den ernsten Gegenstand nicht, obgleich das Dienstmädchen sie allein ließ, nachdem sie die ganze bescheidene Mahlzeit auf einmal aufgetragen hatte. Sie sprach von der Fabrik, sie kam auf Denis, auf seine Frau Marthe, die sie kritisierte, sie ließ sich sogar verleiten, die kleine Hortense schlecht erzogen, häßlich, ohne Anmut zu finden. Und der Buchhalter hörte zu, ohne den Mut zu haben zu widersprechcn, trotzdem alles in ihm sich empörte.
    »Wir werden schon sehen,« sagte Constance schließlich, »wenn jeder wieder auf seinen Platz zurückverwiesen sein wird.«
    Sie wartete, bis sie wieder in dem kleinen Salon waren, und sprach erst, als sie bei geschlossenen Türen in dem Schweigen des Winterabends am Feuer saßen.
    »Lieber Freund, wie ich Ihnen, glaube ich, schon gesagt habe, werde ich Ihrer bedürfen. Sie müssen einem jungen Mann den Eintritt in die Fabrik ermöglichen, für den ich mich interessiere. Wenn Sie mir einen Dienst erweisen wollen, so nehmen Sie ihn sogar in Ihr Bureau.«
    An der andern Seite des Kamins ihr gegenüber sitzend, sah er sie erstaunt an.
    »Aber ich bin nicht der Herr; wenden Sie sich doch an den Chef, er wird sicher gern Ihren Wunsch erfüllen.«
    »Nein, ich will Denis für nichts zu danken haben. Dann stimmt das auch nicht zu meinen Plänen. Sie sollen meinen jungen Mann empfehlen. Sie sollen ihn als Gehilfen zu sich nehmen, sollen ihn einführen, ihn unterrichten. Sie werden doch wohl das Recht haben, einen Bediensteten aufzunehmen? Und ich will es.«
    Sie sprach als Gebieterin, und er duckte sich; er hatte nie etwas anders getan als gehorcht, zuerst seiner Frau, dann seiner Tochter, und nun dieser alten entthronten Königin, die ihn zu ihrem willenlosen Werkzeuge machte, trotz der unbestimmten Auflehnung, die seit einiger Zeit allmählich in ihm entstanden war. Er wagte eine Frage. »Gewiß, gewiß, ich kann ihn aufnehmen. Wer ist dieser junge Mann?«
    Sie antwortete nicht sogleich. Sie hatte sich gegen das Feuer geneigt, wie um ein Scheit zurechtzurücken, in Wirklichkeit aber, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Wozu ihn sogleich einweihen? Sie würde eines Tages gezwungen sein, ihm alles zu sagen, wenn er in ihrem Spiele ganz auf ihrer Seite sein sollte. Aber das hatte vorläufig keine Eile, und sie gedachte die Sache einstweilen nur geschickt einzuleiten.
    »Es ist ein junger Mann, dessen Schicksal mich rührt, infolge gewisser Erinnerungen. Sie entsinnen sich vielleicht eines Mädchens, das hier gearbeitet hat, oh, vor sehr langer Zeit schon, wenigstens dreißig Jahre, Norine Moineaud, eine der Töchter des Vaters Moineaud?«
    Er hatte rasch den Kopf erhoben, er sah sie mit großoffenen Augen an, ein plötzlicher Lichtstrahl hatte seine Seele durchfahren. Und ehe er noch überlegt hatte, rief er in seiner Ueberraschung alles hinaus.
    »Alexandre Honoré, der Sohn Norinens, das Kind von Rougemont!«
    Betroffen ließ sie die Feuerzange fahren und sah ihn durchbohrend an, als wollte sie auf den Grund seiner Seele dringen.
    »Ah, Sie wissen… Was wissen Sie? Sie müssen es mir sagen, verbergen Sie mir nichts, sprechen Sie, ich will es!«
    Was er wußte – mein Gott, er wußte alles! Er sprach lang und langsam, wie aus dem Traume. Er hatte alles gesehen, alles erfahren, daß Norine schwanger gewesen, daß Beauchêne Geld hergegeben hatte, damit sie bei der Bourdien niederkommen könne, daß der Knabe dem Findelhause übergeben worden, dann nach Rougemont in Pflege gekommen war, von wo er dann entflohen war, indem er dreihundert Franken unterschlug. Und er wußte sogar, daß der junge Mann auf das Pariser Pflaster geraten war und hier das abscheulichste Leben geführt hatte.
    »Wer hat Ihnen das alles gesagt? Woher wissen Sie das alles?« rief sie wütend, von Unruhe ergriffen.
    Er machte nur eine unbestimmte Gebärde, die die Luft um ihn herum, das ganze Haus bezeichnete. Er wußte es eben, das waren Dinge, die ihn umgaben, die man ihm gesagt, die er erraten hatte. Und er wußte nicht einmal

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