Fruchtbarkeit - 1
ihm der zerstörende und rächende Geist in die Fabrik eingezogen sein, der sie in die Luft sprengen wird!«
Mit einer weiten Gebärde, die alle Mauern ringsum niederwarf, ergänzte sie ihre Worte. Unter den wirren Plänen, die der Haß in ihr wälzte, galt ihre letzte Hoffnung wohl diesem Kampfe, wenn alle andern verloren waren, der Verwendung dieses elenden Alexandres als zerstörende Macht, deren Verwüstungen ihr ein wenig Genugtuung verschaffen sollten. Sie war bis zu dieser Tollheit gelangt, in der grenzenlosen Verzweiflung, in die sie der Verlust ihres einzigen Sohnes gestürzt hatte, verdorrt, verglüht von der unbefriedigten Liebessehnsucht, dem Wahnwitz ihrer beraubten Mutterschaft anheimgefallen, die Seele bis zum Verbrechen vergiftet.
Morange erschauerte, als sie mit ihrer starren Härte schloß:
»Seit zwölf Jahren warte ich auf das Eingreifen des Schicksals, und nun ist es da! Ehe ich es nicht ausnutzen sollte für das, was mir eine letzte Möglichkeit scheint, würde ich mein Leben hingeben.«
Somit war das Verderben Denis’ beschworen, vollzogen, wenn das Schicksal es wollte. Und der alte Buchhalter sah im Geiste das Unheil geschehen, die unschuldigen Kinder in dem Vater betroffen, eine vollständige ungerechte Katastrophe hereingebrochen, gegen die sein weiches Herz sich empörte. Sollte er dieses neue Verbrechen geschehen lassen, ohne hinauszuschreien, was er wußte? Ohne Zweifel stieg das andre Verbrechen, das erste, grauenhafte, verborgene, über das sie nie miteinander sprachen, vor ihm auf und erfüllte seine trüben Augen in dieser schrecklichen Minute; denn auch sie erbebte, als ihr Blick, mit dem sie ihn zu unterjochen strebte, auf den seinigen fiel. Einen Augenblick befanden sie sich so, Aug’ in Auge, wieder an der mörderischen Oeffnung, durchschauert von dem kalten Hauch des Abgrunds. Aber wieder unterlag er, sagte nichts, beugte seine arme schwache Seele unter den Willen dieser Frau.
»Wir sind also einig, lieber Freund,« sagte sie in sanftem Tone. »Ich rechne darauf, daß Sie Alexandre als Angestellten aufnehmen. Sie werden das erstemal hier in diesem Zimmer mit ihm zusammentreffen, eines Abends nach fünf Uhr, wenn es Nacht geworden ist, denn vorerst soll niemand wissen, daß ich mich für ihn interessiere. Wollen Sie übermorgen abend kommen?«
»Uebermorgen abend, Madame, ganz wie Sie wünschen.« Am nächsten Tage zeigte sich Morange so aufgeregt, daß seine Hausmeisterin, die ihn beobachtete, ihre Befürchtungen ihrem Manne gegenüber ausfprach: ihr Mieter würde sicher einen Anfall haben, denn er hatte vergessen die Socken anzuziehen, als er herabkam, Wasser zu holen, sah verstört aus und sprach mit sich selbst. Und an diesem Tage geschah das Außerordentliche, daß er nach dem Mittagessen um eine volle Stunde zu spät ins Bureau kam, eine noch nie dagewesene Unpünktlichkeit, auf derengleichen sich niemand bei ihm besinnen konnte. Wie von einem Gewittersturm erfaßt, war er vor sich hingegangen, hatte er sich wieder auf dem Pont de Grenelle befunden, wo Denis ihn eines Tages von der Anziehung des Wassers gerettet hatte. Dann hatte ihn irgendeine Kraft an dieselbe Stelle geführt, und ihn veranlaßt, sich in derselben Betrachtung des fließenden Wassers übers Geländer zu neigen. Seit gestern war sein Mund erfüllt von immer denselben Worten, Worten, die er mit halblauter Stimme vor sich hin stammelte, rastlos, gepeinigt: Sollte er dieses neue Verbrechen geschehen lassen, ohne hinauszuschreien, was er wußte? Diese Worte, von denen er sich nicht befreien konnte, waren es offenbar, die ihn am Morgen hatten vergessen lassen, die Socken anzuziehen, und die ihn nun so betäubten, daß sie ihn abhielten, in die Fabrik einzutreten, als ob er ihr Tor nicht wiedererkennen würde. Und wenn er sich nun über dieses Wasser neigte, war er nicht dazu getrieben durch das unbewußte Verlangen, ein Ende zu machen, durch die instinktive Hoffnung, hier die Qual zu ertränken, die ihm jene unabweislichen Worte verursachten? Da drunten auf dem Grunde würden die Worte endlich verstummen, er würde sie nicht mehr wiederholen müssen, nicht mehr hören müssen, wie sie ihn zu einer Tat drängten, zu der er nicht die Kraft fand. Das Wasser rief ihn mit sanftem Locken, und wie wohltuend wäre es, nicht mehr kämpfen zu müssen, sich willenlos dem Schicksal überlassen zu können, ein armer Mann, ein schwaches und weiches Herz, das zuviel erlebt hat.
Morange neigte sich weiter vor, hörte
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