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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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legen müssen, ins Herz getroffen, voll Angst vor der Zukunft. Er hatte sie fast angefahren, und sie war nun heimgekehrt mit dem qualvollen Bewußtsein, daß ihr eigen Fleisch und Blut, ihre undankbaren Söhne feindselig gegeneinander standen und gegeneinander wüteten. Sie hatte nicht wieder aufstehen wollen, bat Mathieu, niemand etwas zu sagen, versicherte ihm, daß ein Arzt nutzlos sei, schwor ihm, daß sie kein körperliches Leiden habe, daß sie nicht krank sei. Aber er fühlte wohl, daß sie erlosch, daß sie ihn jeden Tag mehr verließ, von ihrem schweren Kummer verzehrt. War es denn möglich? Diese liebenden und geliebten Kinder, die in ihren Armen, unter ihrer Zärtlichkeit aufgewachsen waren, die der Stolz, die Freude ihres Sieges waren, alle diese ihrer Liebe entsprossenen, in ihrer Treue vereinten Kinder, diese geschwisterliche und geheiligte Schar, die sie enge umgab! sie stoben nun auseinander und trachteten, sich haßerfüllt zu zerfleischen! Es war also wahr, was man sagte, daß, je größer eine Familie werde, desto stärker auch die Saat der Undankbarkeit wachse, und wie wahr auch, daß man kein erschaffenes Wesen vor der Stunde seines Todes glücklich oder unglücklich nennen könne!
    »Ach,« sagte Mathieu, am Bette sitzend und die fieberische Hand Mariannens in der seinigen haltend, »nachdem wir so viel gekämpft, so viel gesiegt haben, sollen wir an diesem letzten Schmerz zugrunde gehen müssen, an dem, der uns am härtesten trifft! Bis zum letzten Atemzuge muß der Mensch kämpfen, und das Glück wird nur durch Leid und Tränen gewonnen! Wir müssen weiter hoffen, und weiter kämpfen, und siegen, und leben!«
    Marianne hatte allen Mut verloren, sie war wie vernichtet.
    »Nein, ich habe keine Kraft mehr, ich bin besiegt. Die Wunden, die mir von außen geschlagen wurden, die habe ich alle überstanden. Aber diese Wunde kommt von meinem Blute, sie blutet nach innen, und ich ersticke. Unser ganzes Werk ist zerstört. Am letzten Tage erweisen sich unsre Freude, unsre Gesundheit, unsre Kraft als Lug und Trug!«
    Und von dem Schmerz über dieses Unglück überwältigt, ging Mathieu ins nächste Zimmer, um dort zu weinen, sah sie schon tot, sah sich allein.
    Der unselige Streit, der zwischen Mühle und Hof ausgebrochen war, drehte sich um die Heiden Lepailleurs, um die Enklave, die die Besitzung Chantebled durchschnitt. Schon seit Jahren bestand die alte romantische, von Efeu überwucherte Mühle mit ihrem moosbedeckten Rade nicht mehr. Grégoire hatte endlich den Gedanken seines Vaters ausgeführt, sie niedergerissen, und eine große Dampfmühle mit weitläufigen Nebengebäuden an ihre Stelle gebaut, welche durch eine Flügelbahn mit der Station Janville verbunden war. Und er selbst, im Begriffe, ein schönes Vermögen zu erwerben, seitdem alle Frucht der Umgebung in seine Mühle kam, war erstaunlich vernünftig geworden, ein dicker, gewichtiger Mann, nahe den Vierzigern, dem von seiner tollen Jugend nichts geblieben war, als ein heftiger Jähzorn, dessen Ausbrüche seine Frau Thérèse, die Kluge und Liebevolle, allein sänftigen konnte. Zwanzigmal war er nahe daran gewesen, mit seinem Schwiegervater Lepailleur zu brechen, der das Vorrecht seiner siebzig Jahre mißbrauchte. Der alte Müller, der trotz seiner Prophezeiungen des sicheren Ruins die Neubauten nicht hatte hindern können, fuhr gleichwohl fort, hämisch zu lächeln, zog über die gedeihende große Mühle los, wütend, daß er unrecht hatte. Er war zum zweitenmal geschlagen: nicht nur widerlegten die reichen Ernten von Chantebled den Bankrott der Erde, dieser Metze von Erde, von der er, der in altem Herkommen befangene, nach leichtem Erfolg gierige, schlaff gewordene Bauer behauptet hatte, daß sie nichts mehr wachsen lasse; nun war auch seine alte Mühle, die er verachtet, ein nutzloses Gerümpel genannt hatte, wiedererstanden, wuchs ins Riesige, wurde von seinem Schwiegersohn zu einem Werkzeug großen Reichtums gemacht. Und das ärgste war, daß er beharrlich weiterlebte, um Niederlage auf Niederlage mit anzusehen, ohne sich je für besiegt erklären zu wollen. Eine einzige Freude war ihm geblieben, das Wort, das Grégoire ihm gegeben hatte, und das er auch hielt, die Enklave dem Hof nicht abzutreten. Ja, er hatte von ihm sogar erreicht, daß er sie nicht bebauen ließ. Der Anblick dieses Stückes dürr gebliebener Heide, die mit einem trostlosen Streifen die schönen grünen Felder von Chantebled durchschnitt, erfüllte ihn mit

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