Fruchtbarkeit - 1
Mathieu ihm hierauf von den Ereignissen gab, in starker Erregung an. Er sah plötzlich die Möglichkeit einer Katastrophe vor sich, deren Drohung ihm das Leben unerträglich machte. Er geriet in Zorn.
»Wie, solches richten also meine Brüder mit ihrem albernen Streite an? Ich habe wohl gehört, daß sie sich entzweit haben, man hat mir Einzelheiten berichtet, die mich betrübten, aber ich hätte nie gedacht, daß du und Mama davon so betroffen seid, daß ihr euch einschließt und daran sterbt! Ah nein, das muß anders werden! Ich gehe sogleich zu Ambroise. Wir wollen beide bei ihm essen, und dann muß dieser Sache ein Ende gemacht werden!«
Da Denis noch einige Befehle zu erteilen hatte, so ging Mathieu einstweilen in den Hof hinab, um ihn zu erwarten. Und während der zehn Minuten, die er hier in Gedanken versunken auf und ab schritt, tauchte die ganze Vergangenheit in seinem Geiste auf. Er sah sich wieder als Angestellten, wie er jeden Morgen, aus Janville kommend, diesen Hof überschritt, mit den dreißig Sous für sein Mittagessen in der Tasche. Es war noch derselbe Teil des großen Komplexes, das Hauptgebäude mit der großen Uhr, die Werkstätten, die Wagenschuppen, eine kleine Stadt grauer Gebäude von zwei riesigen, unaufhörlich qualmenden Schornsteinen überragt. Sein Sohn hatte diese Arbeitsstadt noch erweitert, Neubauten bedeckten nun den letzten Teil des rechtwinkeligen Terrains zwischen der Rue de la Fédération und dem Boulevard de Grenelle. Und in der Ecke, am Kai, sah er auch das vornehme Wohnhaus mit der Ziegel und Steinfasaade, worauf Constance so stolz gewesen war, und wo sie als Fürstin der Industrie in ihrem kleinen, mit gelbem Atlas ausgeschlagenen Salon empfangen hatte. Achthundert Arbeiter waren hier beschäftigt, der Boden erbebte unter der unausgesetzten Arbeit der Maschinen, das Haus war das bedeutendste in Paris geworden, aus ihm gingen die großen landwirtschaftlichen Maschinen, die mächtigen Bearbeiter der Erde hervor. Und sein Sohn war unbestrittener Fürst des Maschinenbaues geworden, und seine Schwiegertochter empfing in dem gelben Atlassalon, umgeben von ihren drei schönen, gesunden Kindern.
Als dann Mathieu, durch die Erinnerung bewegt, nach rechts blickte, auf das Häuschen, das er einst mit Marianne bewohnt hatte, wo Gervais geboren worden war, wurde er von einem vorübergehenden alten Arbeiter gegrüßt.
»Guten Morgen, Monsieur Froment.« Er erkannte Victor Moineaud, schon fünfundfünfzig Jahre alt, noch mehr durch die Arbeit ruiniert, als sein Vater damals gewesen war, da die Mutter Moineaud hierherkam, um dem Moloch das noch zu junge Fleisch ihrer Söhne anzubieten. Mit sechzehn Jahren eingetreten, hatte auch er nun schon nahezu vierzig Jahre an der Esse und am Amboß hinter sich. Es war die unablässige Wiederholung desselben unbarmherzigen Schicksals; alle erdrückende Arbeit fällt auf das Lasttier, nach dem Vater wird der Sohn betäubt, zermalmt von der Mühle des Elends und der Ungerechtigkeit.
»Guten Morgen, Victor. Es geht Ihnen immer gut, ja?«
»Oh, Monsieur Froment, ich bin nicht mehr jung. Ich werde wohl daran denken müssen, irgendwo ein Ruheplätzchen zu finden. Wenn es nur nicht unter einem Omnibus ist!«
Er deutete damit auf den Tod des Vaters Moineaud hin, den man in der Rue de Grenelle unter den Rädern eines Omnibus mit gebrochenen Beinen und zerschmettertem Kopfe aufgelesen hatte.
»Uebrigens,« fuhr er fort, »an dem oder jenem sterben! Das geht sogar schneller… Der Vater hat Glück gehabt, daß er Norine und Cécile gefunden hat. Sonst hätte ihm nicht ein Omnibus, sondern sicherlich der Hunger das Genick gebrochen.«
»Geht es Norine und Cécile gut?« fragte Mathieu.
»Ja, Monsieur Froment. Soviel ich weiß, denn wir sehen uns nicht sehr oft, wie Sie sich wohl denken können. Die zwei und ich, das sind alle, die noch von uns übrig sind, wenn ich Irma nicht rechne, die uns verleugnet hat, seitdem sie eine große Dame geworden ist. Euphrasie hat das Glück gehabt zu sterben, und der Taugenichts von Alfred ist verschwunden, was mir eine große Erleichterung ist, denn ich habe immer gefürchtet, ihn eines Tages im Zuchthaus zu sehen. Wenn ich etwas von Norine und Cécile höre, so habe ich doch eine Freude. Sie wissen ja, daß Norine älter ist als ich, sie ist nun bald sechzig Jahre alt. Aber sie war immer kräftig, und ihr Sohn macht ihr viel Freude, höre ich. Und beide arbeiten noch, Cécile ist noch immer rüstig, sie, die man mit
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