Fruchtbarkeit - 1
Friedhof, der unter seinen Blumen die mörderische Schlachtbank so vieler Leben verbarg.
»Sie haben keine Kinder in Ihrer Ehe?« fragte er, um etwas zu fragen, und da ihm nichts andres einfiel, während seine Gedanken bei diesen schrecklichen Bildern weilten.
Sie lachte wieder und zeigte ihre immer noch weißen Zähne.
»O nein, Monsieur Froment, dazu bin ich zu alt. Und dann gibt es Dinge, in die man sich nicht wieder einläßt… Apropos, Madame Bourdieu, die Hebamme, die Sie, glaube ich, gekannt haben, ist in unsrer Gegend gestorben, wohin sie sich schon vor langen Jahren auf eine ihr gehörige Besitzung zurückgezogen hatte. Sie hat mehr Glück gehabt, als die andre, die Rouche, die ja eine ganz brave Frau war, aber gleichwohl zu gefällig. Sie haben wohl von ihrem Prozeß in den Zeitungen gelesen, sie ist zu Gefängnisstrafe verurteilt worden, zugleich mit einem Arzt namens Saraille, mit dem zusammen sie wirklich unerlaubte Dinge angestellt hat.«
Die Rouche! Saraille! Freilich, Mathieu hatte den Prozeß dieser beiden sozialen Schädlinge verfolgt, die miteinander zusammengetroffen waren. Und welchen Widerhall aus der Vergangenheit erweckten diese Namen in ihm, indem sie ihn an jene andern beiden erinnerten! Valérie Morange! Reine Morange! Schon vorhin hatte er im Hofe der Fabrik das Gespenst Moranges vorbeiziehen sehen, des pünktlichen, furchtsamen und weichherzigen Buchhalters, den der Sturmwind des Unglücks und des Wahnsinns in dunkle Tiefen geschleudert hatte. Und nun erschien er plötzlich hier wieder, ein irrender Schatten, ein ruheloses Opfer all des unsinnigen Erfolghungers, der tollen Genußgier seiner Zeit, ein armer mittelmäßiger Mensch, der so entsetzlich für die Verbrechen andrer büßen mußte, daß er keine Ruhe fand in dem Grabe, in das er sich blutend, mit zerschmetterten Gliedern gestürzt hatte. Und Mathieu sah auch das Gespenst Sérafinens vorüberziehen, mit dem von Raserei und Schmerz verzogenen Antlitz der unfruchtbaren Begierde, die sich nicht ersättigen kann und die daran stirbt.
»Verzeihen Sie, Monsieur Froment, daß ich mir die Freiheit genommen habe, Sie anzusprechen. Ich bin sehr, sehr erfreut, Sie getroffen zu haben.«
Er sah sie immer noch an und sagte dann, als er ging, mit der Nachsicht seines Optimismus:
»Also viel Glück, da es Ihnen so gut geht. Das Glück muß wohl wissen, was es tut.«
Aber im Herzen war Mathieu verwirrt, schwer bedrückt von den Ungerechtigkeiten, die die gefühllose Natur geschehen ließ. Er dachte wieder an Marianne, die von einem so schweren Kummer betroffen war, die dem Gram über den lieblosen Streit ihrer Söhne unterlag. Und als Ambroise endlich kam, und ihn, nachdem er Célestens Dank entgegengenommen, fröhlich umarmte, wurde er von großer Herzensangst ergriffen vor dieser Schicksalsminute, die seinem Gefühle nach über das Heil der Familie entscheiden sollte.
Es kam übrigens rasch. Denis ging, nachdem er sich und den Vater zum Essen geladen hatte, ohne Umschweife auf sein Ziel los.
»Wir sind nicht bloß um des Vergnügens willen gekommen, mit dir zu essen. Mama ist krank, weißt du das?«
»Krank,« sagte Ambroise, »doch nicht ernstlich krank?«
»Ja, sehr krank, in Gefahr. Und weißt du, sie ist krank seit dem Tage, wo sie zu dir gekommen ist, um mit dir über den Streit zwischen Gervais und Grégoire zu sprechen und wo du, wie ich höre, sie fast grob behandelt hast.«
»Ich hätte sie grob behandelt? Wir haben von Geschäften gesprochen, und ich habe ihr als Geschäftsmann vielleicht etwas rauh geantwortet.«
Er wandte sich gegen Mathieu, der schweigend und blaß wartete.
»Ist das wahr, Vater, Mama ist krank und macht dir Sorge?«
Und da der Vater mit einem schweren Kopfnicken antwortete, geriet Ambroise in Erregung, wie früher Denis, im Augenblicke, da er die Wahrheit erfahren hatte.
»Ah, diese Geschichte wird aber nun schon zu albern! Nach meiner Ansicht hat Grégoire recht; aber mir ist das ganz alles eins, sie müssen sich versöhnen, wenn das der armen Mutter eine Minute Leides ersparen kann! Warum habt ihr denn nichts gesagt, warum euren Kummer nicht laut werden lassen? Dann wäre Ueberlegung gekommen und damit der Verstand.«
Er umarmte seinen Vater stürmisch, mit jener Plötzlichkeit der Entschließung, die ihm in seinen Geschäften so sehr zustatten kam, wenn er einmal das Richtige erkannt hatte.
»Und du bist noch der Klügste von uns allen, du bist der Wissende und Voraussehende… Selbst wenn
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