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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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den triumphierenden Eintritt des brüderlichen Gesandten zurück. Seine Person, seine unerwartete Anwesenheit, alles was er noch nicht erzählt hatte, all das Abenteuerliche, das man hinter ihm ahnte, erhitzte die allgemeine Erregung der Familie, die von diesem Feste unter freiem Himmel berauscht war. Und sobald der Kaffee aufgetragen war, stürmten Fragen von allen Seiten auf ihn ein, er mußte sprechen.
    »Ja, was soll ich euch sagen?« erwiderte er lächelnd auf eine Frage Ambroises, der wissen wollte, was er von Chantebled halte, wo er ihn des Morgens herumgeführt hatte. »Ich fürchte, daß ich nicht sehr liebenswürdig scheinen werde, weder für dieses Stück Land noch für euer Werk, wenn ich aufrichtig bin. Die Landwirtschaft ist hier zweifellos eine Kunst, ein bewundernswertes Zusammenwirken von Wissen, Wollen und fester Ordnung, um dieser alten Erde die Ernten zu entreißen, die sie noch liefert. Ihr arbeitet viel, ihr wirkt Wunder. Aber, du lieber Gott, wie klein ist euer Gebiet! Wie könnt ihr da nur leben, ohne die Ellbogen der Nachbarn in euren Weichen zu fühlen? Ihr seid hier in dicken Lagen übereinandergeschichtet, so daß ihr nicht einmal so viel Luft zum Atmen habt, als der Brust eines freien Mannes nötig ist. Und eure ausgedehntesten Felder, was ihre eure großen Güter nennt, sind nichts als Erdschollen, wo eure paar Stücke Vieh nur den Eindruck einiger verirrter Ameisen machen. Ach, dagegen die Unermeßlichkeit unsers Niger, die Unermeßlichkeit der Ebenen, die er tränkt, die Unermeßlichkeit unsrer Felder dort drüben, die keine andern Grenzen haben als die des fernen Horizonts!«
    Benjamin hatte ihm bebend zugehört. Seitdem dieser Sohn der mächtigen Wasser und emer andern Sonne da war, wandte er den Blick nicht mehr von ihm, während seine träumerischen Augen sich mit dem Ausdruck einer immer wachsenden Erregung füllten. Und als er ihn so sprechen hörte, konnte er bei Anziehung des Unbekannten nicht länger widerstehen, er verließ seinen Platz, ging um den Tisch herum und setzte sich neben ihn.
    »Der Niger, die unermeßliche Ebene… Sprich, erzähl uns von dieser Unermeßlichkeit!«
    »Der Niger, der gute Riese, unser aller Vater dort drüben! Ich war kaum acht Jahre alt, als mein Vater und meine Mutter Senegal in einem Aufwallen unüberlegter Tapferkeit und toller Zuversicht verließen, von dem unwiderstehlichen Verlangen gedrängt, in den Sudan einzudringen und ihr Glück im Bebauen neuer Länder zu versuchen. Wir brauchten viele Tagereisen durch Buschland, über Gebirge und Flüsse, um von SaintLouis nach unsrer jetzigen Farm jenseits Dschenne zu gelangen. Aber ich erinnere mich jener Reise nicht mehr, mir ist es, als sei ich aus dem guten Niger selbst entstanden, aus der wunderbaren Fruchtbarkeit seiner Wasser. Er ist gewaltig und sanft, er rollt unermeßliche Fluten, einem Meere gleich, von einer solchen Breite, daß keine Brücke ihn überspannt, von so langem Lauf, daß er den Horizont von einem Ende zum andern erfüllt. Er enthält Archipele, er hat Arme, die von Gräsern bedeckt sind wie Wiesen, große Tiefen, die von Heeren mächtiger Fische bevölkert sind. Er hat seine Stürme, er hat seine Tage der Glut, wo seine Wasser von der flammenden Umarmung der Sonne befruchtet werden, er hat seine milden, köstlichen, purpurnen Nächte, wo von den Sternen der Friede auf die Erde niedersinkt. Und er ist der Ahnherr, der Gründer, der Befruchtende, er hat den Sudan gezeugt, er hat ihn mit seinen unschätzbaren Reichtümern beschenkt, er verteidigt ihn gegen das Eindringen der umgebenden Wüsten, und nährt ihn mit seinem befruchtenden Schlamme. Jedes Jahr, zur bestimmten Zeit, quillt er über, bedeckt das Tal gleich einem Meere, und läßt dann den fetten, von ungeheurer Fruchtbarkeit schwangeren Boden zurück. Gleich dem Nil hat er die Sandwüsten besiegt, er ist der Vater unzählbarer Generationen, er ist der schaffende Gott einer noch unbekannten Welt, die einmal das alte Europa bereichern wird. Und das Tal des Niger, die gewaltige Tochter des großen Riesen – welche reine Unendlichkeit, welch freier Flug ins Grenzenlose! Die Ebene öffnet sich, erweitert sich, schiebt die Wände des Himmels zurück, ohne Hindernis und ohne Abschluß. Immer nur Ebene und Ebene, Felder, die wieder in Felder übergehen, wagrechte Flächen, so weit der Blick reicht, deren Ende der Pflug erst in Monaten erreichen würde. Hier wird die Nahrung für ein zahlreiches Volk geerntet werden, an dem

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