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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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kam die Schönheit Mathieus und Mariannens zum Vorschein, die, daß sie sich siebzig Jahre lang geliebt hatten, und daß sie sich noch heute liebten wie am ersten Tage. Siebzig Jahre lang waren sie Seite an Seite, Arm in Arm durchs Leben gegangen, ohne einen Zank, ohne eine Untreue. So weit gewandert in gleichem festem und vertrauendem Schritte, hatten sie gewiß viele herbe Schmerzen erfahren, aber diese hatten sie immer nur von außen getroffen. Wenn sie oft geweint hatten, so hatten sie sich damit getröstet, daß sie miteinander weinten. Unter ihren weißen Haaren bewahrten sie noch immer den Glauben der Zwanzigjährigen, ihre Herzen ruhten noch immer eins im andern, wie am ersten Tage ihrer Ehe, denn ein jedes hatte seines gegeben und es nie wieder zurückgenommen. Es war das unlösliche Band der Liebe, die einzige wirkliche Ehe, die, welche fürs ganze Leben unerschütterlich bleibt, denn es gibt kein Glück als in der ewigen Dauer. Ihr glückliches Schicksal war, daß sie beide die Kraft zu lieben hatten, den Willen zu handeln, die göttliche Begierde, deren Flamme die Welten erschafft. Er, der seine Frau vergötterte, hatte keine andre Freude gekannt als diese Schaffenslust, hatte das zu vollendende Werk, das vollendete Werk, als seinen einzigen Daseinszweck, seine Pflicht und seinen Lohn betrachtet. Sie die ihren Mann vergötterte, hatte sich einzig bemüht, Gefährtin, Gattin und Mutter zu sein, gute Gebärerin, gute Erzieherin, wie Boutan gesagt hatte, und besonders gute Ratgeberin, mit zartsinnigem Takt begabt, der alle Schwierigkeiten löste. Und so, mit jedem Kinde einander näher gebracht wie durch ein immer enger gezogenes Band, waren sie dahin gelangt, miteinander zu verschmelzen. Ihrer war die Klugheit, die Gesundheit, die Kraft. Sie hatten über alle Hindernisse und Kümmernisse nur triumphiert dank dieser ihrer langen Eintracht, ihrer gegenseitigen Treue, der ewigen Jugend ihrer Liebe, deren Rüstung sie unüberwindlich machte. Sie konnten nicht besiegt werden, sie hatte durch die bloße Macht ihrer Einigkeit triumphiert, ohne es selbst zu wollen. Und sie lebten nun als Helden aus, als Eroberer des Glücks, Hand in Hand, von kristallener Reinheit, sehr groß, sehr schön, noch vergrößert und verschönert durch ihr hohes Alter, durch dieses so lange Dasein, das von einer einzigen Liebe erfüllt war. Und ihr zahlloses Geschlecht, das sie hier umgab, der erobernde Stamm, der ihren Lenden entsprungen war, besaß keine andre Kraft als diese Kraft der Einigkeit, die er von ihnen erbte, diese treue Liebe, die die Ahnen ihren Nachkommen vermachten, das Gefühl der Solidarität, die sie einander im Kampfe um die Verbesserung des Lebens zur Seite stehen ließ, als ein einziges brüderliches Volk.
    Eine frohe Bewegung ging um die Tafel, das Auftragen begann. Alle Dienstleute des Hofes waren dazu herangezogen worden, kein einziger Fremder sollte dabei sein. Fast alle waren auf dem Hofe aufgewachsen, sie gehörten auch zur Familie. Nachher sollten auch sie ihr Mahl haben, ihrerseits die diamantene Hochzeit feiern. Und inmitten von Gelächter und heiteren Ausrufungen wurden die ersten Schüsseln herumgereicht.
    Plötzlich wurde das kaum begonnene Auftragen unterbrochen. Ein allgemeines Stillschweigen entstand, etwas Unerwartetes war geschehen. Auf dem Rasen, mitten zwischen den beiden Armen der Hufeisentafel schritt ein junger Mann herauf, den niemand kannte. Er lächelte heiter und ging geradeswegs auf Mathieu und Marianne zu. Vor ihnen angelangt, sagte er mit kräftiger Stimme:
    »Guten Tag, Großvater! Guten Tag, Großmutter! Ihr müßt noch ein Gedeck auflegen lassen, denn ich bin gekommen, um euern Ehrentag mitzufeiern.«
    Die ganze Gesellschaft blieb stumm vor Erstaunen. Wer war dieser junge Mann, den keiner von allen je gesehen hatte? Er konnte nicht zur Familie gehören, sonst hätte man sein Gesicht gekannt, seinen Namen gewußt. Warum begrüßte er also die Ahnen mit den ehrwürdigen Namen Großvater und Großmutter? Und die immer stärker werdende Verblüffung rührte besonders daher, daß er eine außerordentliche Aehnlichkeit mit Mathieu hatte, ein Froment ohne Widerrede, denn er hatte deren helle Augen, deren hohe Stirn. Der junge Mathieu lebte in ihm wieder auf, so wie ihn ein pietätvoll in der Familie bewahrtes Bild mit siebenundzwanzig Jahren darstellte, als er die Eroberung von Chantebled begann.
    Da erhob sich Mathieu bebend, während Marianne glückselig lächelte, denn sie hatte vor

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