Fruchtbarkeit - 1
langsam auszukleiden, ohne sich um das offene Fenster zu bekümmern, durch welches keine andern Augen sie sehen konnten als die der Millionen Sterne, die über den unendlichen Dom des Himmels gestreut waren. Nachdem sie ihr Kleid, ihren Rock und ihr Mieder abgelegt hatte, stellte sie sich einen Augenblick vor den Spiegel, um ihr Haar für die Nacht zu ordnen. Sie löste ihre Frisur auf und ließ den schweren Strang ihrer Haare herabfallen, der ihr bis zu den Knien reichte.
Mathieu schien sie nicht gehört zu haben. Anstatt sich gleich ihr zu entkleiden, hatte er sich an den Tisch gesetzt. Er leerte seine Taschen und zog das Notizbuch heraus, in welches er die drei Noten zu hundert Franken gelegt hatte, die ihm heute als sein Gehalt ausbezahlt worden waren. Nachdem er sie gezählt, sagte er mit ein wenig bitterem Scherz:
»Es sind wirklich nur drei, sie haben auf dem Wege keine Jungen bekommen … Hier, ich lege sie in dieses Kuvert, du wirst morgen wechseln lassen, wenn du unsre Schulden bezahlst.«
Dies brachte ihn auf einen Gedanken. Er nahm sein Taschenbuch und einen Bleistift. »Du sagst also, zwölf Franken für Milch und Eier an die Lepailleur. Wieviel bist du dem Fleischer schuldig?«
Vor ihm sitzend zog sie ihre Strümpfe aus.
»Dem Fleischer, sagen wir zwanzig Franken.«
»Und dem Gewürzkrämer, dem Bäcker?«
»Ich weiß es nicht genau, sagen wir dreißig Franken. Das ist aber auch alles.«
Er rechnete zusammen.
»Das macht zweiundsechzig Franken; von dreihundert abgezogen, bleiben zweihundertachtunddreißig Franken. Knapp acht Franken täglich. Da sind wir ja hübsch reich, wir werden einen netten Monat haben, mit vier Kindern zu ernähren, besonders wenn unsre Rose krank wird!«
Sie war nun im Hemd, und vor ihm stehend, ihre wohlgeformten kleinen nackten Füße auf dem Teppich, ihre Arme mit einer reizenden einladenden Bewegung gegen ihn ausgestreckt, sah sie ihn an in der sieghaften Schönheit einer fruchtbaren, gesunden, blühenden Frau. Erstaunt, ihn so reden zu hören, lachte sie in froher Zuversicht.
»Was hast du heute, mein Schatz? Du ergehst dich in verzweifelten Berechnungen, du, der du sonst immer den nächsten Tag wie ein Wunder erwartetest, in der Sicherheit, daß es genügt, das Leben zu lieben, um glücklich zu leben. Du weißt, daß ich für meinen Teil keine reichere und zufriedenere Frau kenne, als ich bin. Komm schlafen, das Glück wartet nur, daß du die Lampe auslöschst, um einzutreten.«
Mit einem leichten Satz sprang sie munter ins Bett; dann blieb sie, den Kopf hoch auf den Polstern, die Arme außerhalb der Decke, in derselben Haltung zärtlichen Appells. Aber er schüttelte traurig den Kopf, begann in einem Strom langsamer Worte den Tag wieder zu durchleben und zu durchdenken.
»Nein, siehst du, Liebste, das fängt an, mir Herzweh zu machen, wenn ich hierher in unsre Aermlichkeit zurückkehre, nachdem ich bei den andern so viel Reichtum und Ueberfluß gesehen habe. Du weißt, wie wenig neidisch ich bin, wie wenig ehrgeizig, ohne jede Begierde, mich zu erheben oder zu bereichern. Aber was willst du? Es kommen Stunden, wo ich um euretwillen leide, ja, deinetwegen und der Kinder wegen, wo ich für euch ein Vermögen erwerben, euch wenigstens vor der drohenden Not schützen möchte. Diese Beauchêne mit ihrer Fabrik, ihrem kleinen Maurice, den sie wie einen Prinzen aufziehen, lassen es mich nur zu schneidend empfinden, daß wir nahezu Hunger leiden, wir beide mit unsern vier Kindern. Und diese armen Morange, die davon sprechen, ihrer Tochter eine fürstliche Mitgift zu geben, auch sie triumphieren inmitten des falschen Luxus ihrer neuen Einrichtung, träumen von einer Stellung von zwölftausend Franken und sehen mit freundschaftlicher Geringschätzung auf uns herab. Und erst unsre Hauseigentümer, diese Séguin, wenn du gesehen hättest, wie sie ihre Millionen, ihr Palais, das mit Schätzen überfüllt ist, vor mir zur Schau stellten, mich mitleidig und geringschätzig anblickten, weil ich eine so zahlreiche Familie habe, sie, deren Klugheit sich auf einen Knaben und ein Mädchen zu beschränken weiß! Und selbst diese Lepailleur, die aus ihrer Mühle spöttisch und mißtrauisch auf uns sehen – denn sei überzeugt, wenn diese Frau mit ihrem Antonin gekommen ist, um dir zu sagen, daß sie nie wieder ein Kind haben wird, so bedeutet das, daß die Tatsache, daß wir vier haben, ihr die Furcht einflößt, ihr Geld nicht zu bekommen … Ach, es ist offenbar, wir werden nie
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