Fruchtbarkeit - 1
eine Fabrik, noch ein Palais, noch selbst eine Mühle haben, ebensowenig wie ich je zwölftausend Franken verdienen werde. Die andern haben alles, und wir haben nichts, das ist eine Wahrheit, die in die Augen springt. Und ich würde wie du, Liebste, aller Unbill des Schicksals ein frohes Herz entgegensetzen, würde alles mit Geduld und selbst mit Heiterkeit hinnehmen, wenn mich nicht der Vorwurf beunruhigte, daß wir selbst schuld sind an unsrer wachsenden Not! Ja, ja, gewiß, wir machen uns der Unklugheit, des Mangels an Voraussicht schuldig!«
Während er sprach, gab sie Zeichen wachsenden Erstaunens. Sie hatte sich aufgerichtet, ihre weiße, feste Nacktheit schimmerte aus ihrem Hemd hervor auf dem Hintergrunde ihrer reichen Haare, in ihrem Gesichte glänzten ihre großen, weitgeöffneten Augen.
»Aber was hast du, was hast du denn heute, Liebster?« wiederholte sie. »Du, sonst so gut, so einfach, so glücklich in unsrer Mittelmäßigkeit, der niemals von Geld redet, du sprichst heute wie mein Cousin Beauchêne. Komm, du hast wohl einen schlechten Tag in Paris verbracht, komm schlafen, vergiß deine Sorgen!« Er erhob sich endlich und begann sich zu entkleiden, immer noch seine Gedanken weiter verfolgend.
»Freilich werde ich schlafen gehen. Das hindert aber nicht, daß wir hier in einer baufälligen Hütte wohnen, und daß, wenn es heute regnen würde, die Kinder wieder naß würden. Wie sollte ich umhin können, Vergleiche anzustellen? Unsre armen Kinder! Ich bin ein Vater wie ein andrer, ich möchte sie gerne so glücklich sehen!«
Er war im Begriffe, sich zu Bette zu begeben, als ein klagender Ton, den er im Nebenzimmer zu hören glaubte, ihn auf halbem Wege innehalten ließ. Nachdem er einen Augenblick gehorcht hatte, nahm er, von Unruhe ergriffen, die Lampe, um nochmals nach den Kleinen zu sehen. Nach einigen Minuten erschien er wieder, schweigend, vorsichtig auftretend, und fand seine Frau im Bette sitzen, den Hals vorgestreckt, horchend, bereit, beim ersten Ruf ihm nachzukommen.
»Es ist nichts,« sagte er leise, als ob die Kinder ihn hören könnten. »Rose hatte sich wieder aufgedeckt. Sie schlafen alle vier wie die Engel.«
Er stellte die Lampe wieder auf den Tisch. »Ich lösche aus, ja?«
Aber da er sich dem Fenster zuwandte, um es zu schließen, sagte sie: »Nein, laß es lieber noch offen. Die Nacht ist so schön und mild! Ehe wir einschlafen, werden wir schließen.«
In der Tat, nichts konnte mit der Schönheit und Weichheit der herrlichen Frühlingsnacht verglichen werden, die mit all ihrem dunkeln Frieden, mit dem einfachen und kräftigen Duft der weiten Landschaft hereinströmte. Nichts war zu hören als der tiefe Atem der in ihrer ewigen Fruchtbarkeit entschlummerten Erde. Aber auch aus dieser Ruhe quoll das Leben, quoll die unaufhörliche, die endlose Liebe, deren zitterndes Verlangen die Gräser, die Bäume, die Wässer, die Felder auch in ihrem Schlaf erbeben macht. Nun, da die Lampe ausgelöscht war, sah man durchs Fenster die brennenden Sterne am Himmel flimmern, dessen Horizont, gerade gegenüber dem Bette der Ehegatten, noch immer von dem Feuer des Pariser Kraters angeglüht wurde.
Mathieu nahm seine Frau zärtlich in seine Arme, und indem er sie an sich drückte, sie an sein Herz legte, in der engen Umarmung, in der er sie so schmiegsam und kräftig fühlte, flüsterte er ihr mit bewegter Stimme ins Ohr: »Geliebte, verstehe wohl, daß ich nur an euch denke, an dich und die Kleinen. Die andern, die reich sind, die alles haben, sind klug genug, sich nicht mit Familie zu beladen, während wir, die Armen, uns Kinder auf den Hals legen, eins nach dem andern, ohne zu rechnen. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, erscheint es einem wahnsinnig, der sträflichste Leichtsinn. So hat die Geburt unsrer kleinen Rose uns ganz und gar den Rest gegeben, uns gezwungen, hierher zu flüchten, denn früher haben wir wenigstens noch unser Auskommen gefunden, haben keine Schulden gehabt … Wie? Was denkst du darüber?«
Sie rührte sich nicht, löste die Arme nicht, mit denen sie ihn umschlungen hatte. Aber eine unruhige Erwartung hatte die Schläge ihres Herzens verlangsamt.
»Ich denke gar nichts darüber, Lieber. Ich habe an das nie gedacht.«
»Und stelle dir vor,« fuhr er fort, »du würdest wieder schwanger, wir bekämen ein fünftes Kind! Dann hätte man wohl recht, uns zu sagen, daß, wenn wir unglücklich sind, wir es aus eigner Wahl sind! Nun, siehst du, das geht mir im Kopf herum,
Weitere Kostenlose Bücher