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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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bis ins Vorhaus begleitete, hörte man sie noch draußen scherzen und lachen.
    Sogleich nach dem zweiten Frühstück sagte Mathieu, daß sie nun spazierengehen wollten, damit Marianne sich des hellen Sonnenscheins erfreue. Die Kinder waren angekleidet worden, ehe man sich zu Tisch setzte, und es war kaum ein Uhr vorüber, als die ganze Familie um die Ecke der Rue de la Fédération biegend, sich auf dem Quai befand.
    Dieser zwischen dem Champ de Mars und den dichtbevölkerten Straßen des Zentrums gelegene Teil des Quartier de Grenelle besitzt einen eigentümlichen Charakter, hervorgerufen durch weite, kahle Ausblicke, durch lange, fast menschenleere, sich rechtwinklig schneidende Straßen, die von endlosen hohen grauen Fabrikmauern eingefaßt sind. Besonders während der Arbeitszeit begegnet man hier fast niemand, man sieht, wenn man den Blick erhebt, nichts als die hohen, dicke Rauchwolken ausstoßenden Schornsteine, welche die Dächer großer Gebäude mit staubigen Fensterscheiben überragen; und wenn irgendein weites Tor geöffnet ist, so blickt man in tiefe, von scharfen Dämpfen durchzogene Höfe, die mit Rollwagen angefüllt sind. Kein andres Geräusch ist hörbar als das scharfe Zischen der Dampfstrahlen, das dumpfe Dröhnen der Maschinen, das donnernde Getöse von Eisenwerk, welches auf das Pflaster geworfen wird. Aber am Sonntag stehen die Fabriken still, das ganze Viertel verfällt in Todesschlaf, und es bleibt nichts als an Sommertagen eine flammende Sonne, welche die Steine des Pflasters glühend macht, und an Wintertagen ein eisiger Wind, der den Schnee durch die Einsamkeit der Straßen fegt. Man sagt, daß die Bevölkerung von Grenelle die schlechteste in Paris sei, die armseligste, die lasterhafteste, der Aufenthalt zahlreicher zügelloser Fabrikmädchen, von Prostituierten niedrigster Sorte, welche die Nachbarschaft der Militärschule anzieht und die ein Gefolge gemeinsten Pöbels mitbringen. Und wie als Gegensatz steigt gegenüber, am andern Ufer der Seine, das lachende bürgerliche Viertel von Passy empor, die reichen aristokratischen Viertel der Invalides und des Faubourg SaintGermain erstrecken sich seitwärts, von prächtigen Avenuen durchzogen; so daß die Beauchênesche Fabrik, wie ihr Eigentümer oft lachend sagte, »à cheval« stand, dem Elend den Rücken zukehrend, mit der Front gegen alle Schönheiten und Freuden dieser Welt gewendet.
    Mathieu liebte die Avenuen, die, mit schönen Bäumen bepflanzt, vom Champ de Mars und der Esplanade des Invalides in breiten Straßenzügen voll Luft und Sonnenschein auslaufen. Es gibt in Paris keinen ruhigeren Winkel, wo man sich freier und angenehmer ergehen könnte, wo man von mehr traumhafter Stimmung und mehr Größe umgeben wäre. Aber vor allem liebte er den Kai, diesen Quai d’Orsay, so lang und so wechselnd, der an der Rue du Bac, mitten in der Stadt, beginnt, am Palais Bourbon, an der Esplanade, am Champ de Mars vorbeiführt, um erst am Boulevard de Grenelle, im düsteren Lande der Fabriken, zu endigen. Und welche majestätische Verbreiterung, welch herrliche hundertjährige Bäume an der Biegung der Seine, von der Tabakfabrik bis zu dem neuen Garten um den Eiffelturm! Der Fluß zieht in graziösem Bogen hin. Die Avenue erstreckt sich unter den schönsten Bäumen der Welt. Man wandelt hier wirklich in einem köstlichen Frieden, dem das große Paris all seine Macht und seinen Reiz beigemengt zu haben scheint.
    Bis dahin wollte Mathieu seine liebe Patientin und sein kleines Volk führen. Aber es war eine gewagte Sache, es bedurfte des Muts, um sie zu unternehmen. Roses kleine Füßchen besonders erweckten unruhige Zweifel. Man vertraute die Kleine Ambroise an, der, obgleich der Jüngere, schon ein entschlossener kleiner Bursche war. Die beiden eröffneten den Zug. Dann kamen Blaise und Denis, die Zwillinge. Vater und Mutter machten den Beschluß. Das gab ein ganzes Pensionat auf dem Trottoir. Anfangs ging alles vortrefflich, man ging natürlich im Schneckenschritt. schlenderte gemächlich unter der hellen warmen Sonne. Der schöne Winternachmittag war von erquickender Klarheit, im Schatten sehr kalt, goldig und weich an den Stellen, die unter den breiten Strahlen des Tagesgestirns lagen. In den Straßen gab es daher auch viel Leute, das sonntägliche und müßige Paris, das der kleinste Sonnenstrahl in Mengen auf die Spazierwege lockt. So daß selbst Rose, munter, erregt, sich fest zusammennahm, um allen diesen Leuten zu zeigen, daß sie schon

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