Fruchtbarkeit - 1
erschien.
Marianne rief sie entzückt zu sich. »Gib mir einen Kuß! Nein, was das für ein hübsches Mädchen ist! Wie groß und schön sie wird! Wie alt ist sie denn?«
»Bald dreizehn Jahre,« sagte Valérie.
Sie hatte sich auf dem eben von Constance verlassenen Sitz niedergelassen, und Mathieu bemerkte, daß ihre Augen einen sorgenvollen Ausdruck hatten. Nachdem sie gesagt hatte, daß auch sie gekommen sei, um sich nach dem Befinden Mariannens zu erkundigen, und nachdem sie mit freudigem Erstaunen das gute Aussehen der Kinder und der Mutter gepriesen hatte, schwieg sie, düster geworden, irgendeinem geheimen Kummer nachhängend, während sie Marianne zuhörte, die ihr dankte, glücklich darüber, daß alle diese Leute sich ihrer erinnerten. Mathieu dachte sodann, es werde der Besucherin vielleicht erwünscht sein, wenn er sie mit seiner Frau allein lasse.
»Liebe kleine Reine, kommen Sie doch mit den Kindern ins Speisezimmer. Wir wollen uns mit dem Vesperbrot befassen und den Tisch decken. Das wird lustig sein.«
Dieser Vorschlag entfesselte betäubenden Jubel. Das Buch war vergessen, der Tisch wurde beiseitegestoßen, und die drei Knaben entführten Reine in tollem Galopp, während Rose zuerst nach vorn auf ihre Hände fiel und ihnen dann schreiend und wie eine kleine Katze springend folgte.
Sobald sie allein mit Marianne war, seufzte Valérie.
»Ach, liebe Freundin, wie glücklich sind Sie, daß Sie so nach Ihrem Gefallen schöne Kinder haben können! Das ist ein Glück, das mir versagt ist.«
Die junge Frau sah sie erstaunt an. »Wie das? Es scheint mir doch, daß Ihnen das ganz freisteht, und daß mein Fall auch der Ihrige ist?«
»Oh, ganz und gar nicht, liebe Freundin! Sie haben einfache Bedürfnisse, Ihr Leben ist nicht so eingerichtet wie das meinige. Sie wissen, ein jeder stellt sein Leben auf eine gewisse Grundlage, wir haben alles für uns und für Reine zurechtgelegt, und es wäre eine Katastrophe, wenn wir das alles nun umstürzen müßten.«
Und mit einem plötzlichen Verzweiflungsausbruch: »Wenn ich schwanger wäre, wie Sie, wenn ich dessen gewiß wäre, oh, ich weiß nicht, was ich täte, ich würde verrückt werden!« Trotz aller Anstrengung, sich zu beherrschen, stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und sie bedeckte ihr Gesicht mit ihren zitternden Händen.
Mehr und mehr erstaunt, erhob sich Marianne, nahm zärtlich ihre Hände, sprach gute Worte zu ihr, um sie zu beruhigen. Und dann empfing sie endlich ihre Beichte, erfuhr, daß sie seit drei Monaten Ursache habe, sich schwanger zu glauben. Zuerst hatte sie sich damit zu beruhigen versucht, daß sie an eine mögliche Verspätung glaubte; aber seit diesem Monat waren ihre Zweifel zur Gewißheit geworden, und sie litt furchtbare Seelenqualen. Sie erzählte, in welche namenlose Bestürzung diese unerwartete Schwangerschaft sie und ihren Mann versetzt habe, denn sie waren ihrer Vorsicht so sicher gewesen! Er, der arme liebe Mann, der sie vergötterte, hätte sich eher die Hand abgeschnitten, als ihr in dieser Hinsicht zuwiderzuhandeln. Sie ihrerseits war stets auf der Hut und gebrauchte alle Vorsicht. Es war daher unfaßbar, niemals hätten sie geglaubt, daß so etwas einem Ehepaar geschehen könne, das sich so liebe wie sie, und in diesem Punkte so eines Sinnes sei.
»Da das Malheur nun einmal geschehen ist,« sagte Marianne tröstend, »nun, du lieber Gott, so müssen Sie sich eben darauf einrichten! Es wird trotz alledem willkommen sein, das arme Kleine!«
»Aber es ist unmöglich, unmöglich!« rief Valérie heftig, neuerlich von Zorn und Verzweiflung erfaßt. »Wir können doch nicht unser ganzes Leben lang so in der Mittelmäßigkeit bleiben! Ihr Mann hat Ihnen wohl erzählt, was der meinige ihm im Vertrauen mitgeteilt hat. Sie wissen also wahrscheinlich, daß infolge eines freundlichen Anerbietens Michauds, eines seiner ehemaligen Untergebenen, der heute eine große Stellung in der Nationalkreditbank innehat, mein Mann sich entschlossen hatte, die Fabrik zu verlassen, wo er keine Zukunft hat, und seinerseits in die Bank einzutreten, die ihm große Aussichten bieten würde. Nur müßte er sich vorerst mit einem kleinen Posten mit dreitausendsechshundert Franken Gehalt begnügen, an Stelle der fünftausend, die er in der Fabrik verdient. Und wie wollen Sie, daß wir nun dieses Wagnis auf uns nehmen, uns mit dreihundert Franken monatlich begnügen, angesichts einer bevorstehenden Schwangerschaft, einer Niederkunft, eines
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